Generationenwechsel durch Mac OS X
Kapitel 15
2. Ausgabe vom Dezember 2009
Die endgültigen Quartalszahlen offenbarten ein erschreckendes Ergebnis. Apple verzeichnete einen Verlust in der Höhe von 250 Millionen Dollar bei einem Umsatzrückgang um über 50 Prozent. Anleger und Mac-Fans wurden gleichermassen unruhig. Apple steckte erneut in der Krise.
Doch diesmal erfasste die Krise die gesamte Computerbranche. Ab Mitte der 90er-Jahre hatte das Internet für einen gewaltigen Boom in der Computerindustrie gesorgt. Technologieunternehmen schossen wie Pilze aus dem Boden. Als sich der Markt für Personal Computer im Jahr 2000 zunehmend gesättigt zeigte, traf dies die gesamte Industrie hart und völlig unerwartet.
Die Krise offenbarte auch, dass Apple noch einige Hausaufgaben zu erledigen hatte. Als besonders problematisch stellte sich Apples wirtschaftliche Abhängigkeit von den Mac-Verkäufen heraus. Apple besass kein Produkt, welches die Firma in Zeiten schlechter Mac-Absätze hätte stützen können.
Zu dieser Zeit stand es um den Mac alles andere als rosig. Zwar hatte Apple mit dem iMac für viel Furore sorgen können, doch auch der iMac änderte nichts an der Tatsache, dass die Mac-Plattform nur noch in Nischenmärkten von Bedeutung war. Gleich in mehrfacher Hinsicht steckte der Macintosh in einer technologischen Sackgasse. Auf der Hardwareseite bekundete Apple zunehmend Mühe, mit dem Entwicklungstempo der Konkurrenz mitzuhalten. Das Interesse von Motorola und IBM, die Entwicklung von neuen PowerPC-Prozessoren für den Mac voranzutreiben, nahm Jahr für Jahr ab. Immer häufiger sah sich Apple mit dem Vorwurf konfrontiert, Macs seien nicht nur zu teuer, sondern auch zu langsam.
Die grösste Baustelle betraf jedoch das Betriebssystem. Nach der Rückkehr von Steve Jobs hatte Apple zwar mit Erfolg die Weiterentwicklung von System 7 vorangetrieben, doch spätestens mit Mac OS 9 war das Ende der Fahnenstange erreicht. Keine der Verbesserungen am Betriebssystem konnte darüber hinwegtäuschen, dass das Mac-System veraltet und für den Einsatz auf den immer leistungsfähigeren Computern nicht mehr geeignet war.
Ursprünglich plante Steve Jobs eine zweigleisige Systempolitik. Nach dem Vorbild von Microsoft wollte er separate Systeme für Privat- und Geschäftskunden verkaufen. Apple arbeitete daran, das bestehende Mac-System an die Wünsche der Heimanwender anzupassen. Mit Mac OS 8.5 und Mac OS 9 hielten zahlreiche Features aus dem Copland-Projekt in die Systemsoftware Einzug. Mac OS 8.5 bot neben nativem PowerPC-Code auch eine anpassbare Systemoberfläche durch Themes, verbesserte Netzwerkfunktionen und eine neue Suchtechnologie namens Sherlock. Ein Jahr darauf folgten der Schlüsselbund und die Software-Aktualisierung mit dem Update auf Mac OS 9. Parallel dazu entwickelte Apple unter dem Codenamen Rhapsody ein leistungsfähiges Betriebssystem für Geschäftskunden, welches Ende des Jahres 1998 erscheinen sollte. Rhapsody basierte auf der Technologie von NextStep, besass allerdings eine an das klassische Mac OS angeglichene Benutzeroberfläche. Es sollte all jene Funktionen beherrschen, welche die professionelle Kundschaft von einem modernen Betriebssystem erwartete. Dazu zählten Speicherschutz und Multitasking ebenso wie leistungsfähige Server- und Netzwerkfunktionen. Weitere Stärken von Rhapsody waren die zeitgemässe Entwicklungsumgebung und die hervorragende Benutzerverwaltung.
Apple veröffentlichte Rhapsody im Sommer des Jahres 1999 unter dem Namen Mac OS X Server. Bereits einige Monate zuvor hatte Apple allerdings erneut eine überarbeitete Betriebssystemstrategie bekanntgegeben. Gemäss dieser neuen Strategie bildete Rhapsody nur einen Zwischenschritt auf dem Weg zu einer neuen Systemversion namens Mac OS X. Mac OS X sollte im Jahr 2000 erscheinen und das klassische Mac OS komplett ablösen. Mit der Ankündigung von Mac OS X verabschiedete sich Apple auch von der Idee, zwei verschiedene Systeme für Heimanwender und Geschäftskunden zu entwickeln.
Im Januar des Jahres 2000 stellte Steve Jobs das neue Mac-System auf der Winter-Macworld in San Francisco offiziell vor und versprach eine Auslieferung der Finalversion für den folgenden Sommer. Als er das neue System im Rahmen einer Demo vorführte, staunte das Publikum nicht schlecht. Denn während über die grundlegenden Technologien schon längere Zeit Klarheit geherrscht hatte, hatte Apple klammheimlich an einer neuen Oberfläche gearbeitet. Überrascht und beinahe schockiert reagierten viele der anwesenden Zuhörer, als Jobs die grafischen Elemente einzeln vorführte.
Apple hatte sich stark bemüht, die hochkomplexen UNIX-Strukturen hinter einer freundlichen Oberfläche zu verbergen. Gleichzeitig war von diesem Augenblick an klar, dass sich alte Mac-Hasen werden umstellen müssen. Statt mit dem gewohnten, in Grautönen gehaltenen Platinum-Look aus Mac OS 9, wartete Mac OS X mit einer farbenfrohen Oberfläche auf. Damit hatte Apple das komplette Erscheinungsbild des Systems an den mit dem iMac eingeschlagenen Designtrend der Hardware angepasst. Beinahe noch wichtiger als die OS-X-Präsentation war die Neuigkeit, welche Jobs ganz am Ende seiner mehr als zweistündigen Macworld-Rede verkündete. Er gab bekannt, das Wort «interim» aus seinem CEO-Titel zu streichen und Apple nicht nur übergangsmässig zu leiten. Jobs bekam stehende Ovationen, viele der Zuhörer hatten Tränen in den Augen, der verlorene Sohn war endgültig zurückgekehrt.
Lediglich ein Jahr später war die Macworld erneut Schauplatz einer wegweisenden Keynote. Die dramatischen Einbrüche der Mac-Absätze gegen Ende des Jahres 2000 hatten Anwender und Branchenbeobachter gleichsam beunruhigt. Zum ersten Mal seit seiner Rückkehr stand Steve Jobs in der Kritik. Die Aufbruchstimmung schien verfolgen zu sein und die Zukunft Apples war ungewiss. Gleich an mehreren Fronten hatte die Mac-Company zu kämpfen.
Eines der Sorgenkinder hörte auf den Namen Power Mac G4 Cube. Der Cube war ein eleganter Desktop-Rechner, mit dem Apple im Sommer 2000 den Versuch unternommen hatte, die Lücke zwischen iMac und Power Mac zu schliessen. Mit seinem schwebend aussehenden Gehäusedesign hatte der Cube für viel Medienwirbel gesorgt. Apple hoffte, die Erfolge des iMacs mit dem Power Mac G4 Cube wiederholen zu können.
Doch es kam anders. Als sich die Aufregung um den neuen Rechner gelegt hatte, wurden die Schwächen des Cubes immer offensichtlicher. Die Geräte waren teuer und leistungsschwach. Insbesondere bei den Prozessoren konnte Apple der Konkurrenz nichts mehr entgegensetzen. Im Cube kam ein G4-Chip mit 500 Megahertz zum Einsatz. Das war der schnellste damals erhältliche PowerPC-Prozessor. Verglichen mit den weit über ein Gigahertz schnellen Intel-PCs machten die G4-Macs jedoch eine zunehmend schlechte Figur, auch wenn der G4-Prozessor durch seine effiziente Architektur den Taktratenrückstand teilweise wettmachen konnte. Als es Apple und Motorola aber auch über ein Jahr nach der Einführung des G4-Power-Macs noch nicht gelungen war, die Taktrate zu erhöhen, sanken die Verkaufszahlen mehr und mehr. Auch bei der Betriebssystementwicklung hinkte Apple den eigenen Ankündigungen hinterher. Zähneknirschend hatte Steve Jobs im Mai 2000 den auf der WWDC anwesenden Software-Entwicklern mitteilen müssen, dass Mac OS X erst im Jahr 2001 erscheinen werde. Allmählich verloren viele Anwender die Geduld.
Als Steve Jobs am 9. Januar 2001 die Bühne des Moscone-Zentrums in San Francisco betrat, stand er erstmals seit seiner Rückkehr zu Apple vor einer ernsthaften Bewährungsprobe. Apples Kunden wollten endlich wieder Fortschritte sehen.
Davon hatte Steve Jobs jede Menge zu präsentieren. Die Macworld wurde zu einem Grosserfolg für Apple und zu einem persönlichen Erfolg für Steve Jobs. Anders als seine Vorgänger sprach er die Versäumnisse und Fehler Apples offen an und präsentierte überzeugende Lösungen.
Auf der Hardwareseite verschaffte sich Apple etwas Luft durch die Einführung einer generalüberholten Power-Mac-G4-Generation. Eine neue Hauptplatine, bessere Grafikkarten und deutlich schnellere Prozessoren brachten den Power Mac wieder auf den aktuellsten Stand der Technik. Als Sahnehäubchen spendierte Apple dem G4-Flaggschiff einen DVD-Brenner, von Apple liebevoll als «SuperDrive» bezeichnet. Zu den weiteren Hardware-Highlights zählte das brandneue PowerBook G4 im eleganten Titan-Kleid.
Mit den Fortschritten bei der Hardware konnte Apple die Mac-Fans beruhigen, doch wesentlich bedeutender war Steve Jobs’ Ankündigung einer neuen Unternehmensstrategie.
In seiner Rede skizzierte Steve Jobs die Zukunft des Personal Computers. Nicht mehr das Internet würde im Vordergrund stehen, sondern der Digital Lifestyle, so die Botschaft des Apple-Gründers. Der Mac des 21. Jahrhunderts müsse in der Lage sein, mit digitalen Geräten wie DVD-Playern, PDAs, MP3-Playern oder Digitalkameras zu kommunizieren. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchte die Mac-Plattform vor allem eines: gute Software. Steve Jobs führte die Jukeboxsoftware iTunes und ein weiteres Lifestyle-Programm namens iDVD ein. Doch am wichtigsten war seine Ankündigung, die Finalversion von Mac OS X am 24. März weltweit auf den Markt zu bringen.
Mit der Einführung von Mac OS X wurde das klassische Mac-System nach über siebzehn Jahren abgelöst. Mehr als ein Jahrzehnt war vergangen, seit Apple mit Taligent den ersten Anlauf unternommen hatte, einen Nachfolger für das Mac OS zu entwickeln. Die Entwicklung von OS X war der vermutlich grösste Kraftakt, den Apple in seiner gesamten Geschichte bewältigt hatte. Doch die Bemühungen um ein modernes Betriebssystem hatten sich gelohnt. Aus technologischer Sicht war OS X ein Quantensprung und eröffnete Apple völlig neue Möglichkeiten.
Vorerst galt es jedoch, einen sanften Übergang zu gewährleisten. Dazu war Apple vor allem auf die Unterstützung von Drittanbietern angewiesen. Mac OS X benötigte nicht nur neue Hardware-Treiber, sondern auch angepasste Programme. Die Softwareanbieter besassen zwei Möglichkeiten, um ihre Programme für den Betrieb unter OS X anzupassen. Für neu geschriebene Programme gab es das Cocoa-Framework, ursprünglich bekannt unter dem Namen Yellow Box. Alte Programme liessen sich in einem Kompatibilitätsmodus, der Classic-Umgebung (Blue Box), weiterhin betreiben. Allerdings stellte die Classic-Umgebung lediglich eine Art Notlösung dar, konnten die Classic-Programme doch keinerlei Nutzen aus den Neuerungen von OS X ziehen. Auf Druck einiger Softwarehersteller hatte Apple deshalb eine weitere Möglichkeit geschaffen, alte Programme unter Mac OS X zu betreiben: Carbon. Das Carbon-Framework basierte im Wesentlichen auf den alten Programmierschnittstellen aus Mac OS 9, wurde aber so ergänzt, dass die Programme nativ unter OS X liefen und sich aus Anwendersicht nicht von Cocoa-Applikationen unterscheiden liessen.
Die erste Version von Mac OS X war noch ein gutes Stück von der Praxistauglichkeit entfernt. Zahlreiche Funktionen waren noch nicht implementiert, ausserdem hatten die Anwender mit massiven Performanceproblemen und vielen kleineren und grösseren Bugs zu kämpfen. Nach einem halben Jahr räumte Apple die dringendsten Probleme mit dem Update auf Version 10.1 aus. Ende 2001 zählte Apple rund eine Million Mac-OS-X-Anwender. Bis 2003 konnte dieser Wert verzehnfacht werden. Apple trieb die Entwicklung von Mac OS X in hohem Tempo voran und veröffentlichte im Jahresrhythmus neue Major-Updates. Unterdessen waren nahezu alle wichtigen Mac-Programme für das neue System angepasst. Weniger als zwei Jahre nach der Einführung von OS X gab Apple bekannt, dass sich neue Macs nicht mehr unter dem alten System starten lassen würden. Ab 2006 konnten sämtliche neuen Macs keine Classic-Programme mehr ausführen. Ein Jahr darauf entfernte Apple die Classic-Umgebung endgültig aus der Mac-OS-X-Installation und schloss damit nach fast 24 Jahren das letzte Kapitel der Geschichte des klassischen Mac-Betriebssystems.