Die PowerPC-Krise
Kapitel 16
2. Ausgabe vom Dezember 2009
Nach der Einführung von Mac OS X versuchte Apple verstärkt, neue Kunden für die leistungsfähige Mac-Plattform zu begeistern. Zu diesem Zweck startete Apple im Sommer 2002 die «Switch»-Werbekampagne. In rund 30 Sekunden langen TV-Spots berichteten ehemalige Windows-Anwender über die Vorteile, die ein Wechsel in die Mac-Welt brachte. Apples offizielles Ziel lautete, den Mac-Marktanteil innert fünf Jahren zu verdoppeln.
Nach rund 50 produzierten Werbespots brach Apple die Kampagne bereits im Jahr 2003 mangels Erfolg wieder ab. Apple steckte in einem Dilemma. Dank vielen innovativen Mac-Produkten wie OS X, den iLife-Applikationen oder dem 2002 eingeführten G4-iMac genoss Apple ein zunehmend positives Medienecho. Die Mac-Plattform gewann an Bekanntheit und Attraktivität. Trotzdem blieb der grosse Mac-Boom aus. Nur wenige Windows-Anwender wagten den Switch in die Apple-Welt.
Im Januar 2005 nahm Apple einen neuen Anlauf und führte den speziell auf die Bedürfnisse der Switcher abgestimmten Mac mini ein. Der Mac mini ermöglichte einen sanften Umstieg auf den Mac. Die Käufer konnten nicht nur ihren Bildschirm, sondern auch Tastatur und Maus am Mac mini weiterverwenden. Zudem war der schicke Mac mini mit einem Verkaufspreis von 500 Dollar ausserordentlich günstig. Nie zuvor hatte Apple einen voll ausgestatteten Mac zu einem derart tiefen Preis angeboten. Doch auch der Mac mini brachte nicht die erhoffte Wirkung, die Verkaufszahlen pendelten sich schon bald auf relativ tiefem Niveau ein. Was hatte Apple falsch gemacht?
Der Mac mini stand zu diesem Zeitpunkt beispielhaft für die gesamte Mac-Palette. Er war in jeder Hinsicht ein toller Computer. Apple hatte nichts falsch gemacht. Dennoch besass der Mac mini einen entscheidenden Schwachpunkt: Einen PowerPC-Prozessor.
Im Mac mini kam ein PowerPC G4 zum Einsatz, ein Prozessor, der damals bereits fünfeinhalb Jahre auf dem Buckel hatte und hoffnungslos veraltet war. Immer häufiger sah sich Apple mit dem Vorwurf konfrontiert, der Mac könne dem Intel-PC leistungsmässig nicht mehr das Wasser reichen. Der PowerPC, einst der ganze Stolz der Mac-Gemeinde, entwickelte sich für Apple immer mehr zum Desaster. Wie hatte es soweit kommen können?
Einen ersten Rückschlag hatte Apple bereits 1998 hinnehmen müssen. Damals zerbrach die Apple-IBM-Motorola-Allianz (AIM), welche den PowerPC ursprünglich entwickelt hatte. Das relativ kleine Mac-Geschäft erschien den Apple-Partnern zunehmend weniger lukrativ. IBM wollte sich vermehrt um die Entwicklung von Server-Prozessoren konzentrieren, während Motorola mit dem PowerPC seine Führungsrolle im Embedded-Bereich auszubauen erhoffte. Zwar trieben beide Unternehmen auch die Entwicklung von Desktop-Prozessoren weiter voran, gingen ab 1998 aber getrennte Wege. Apple entschied sich damals für Prozessoren von Motorola und rüstete die Mac-Plattform ab 1999 auf den G4-Prozessor um. Der G4 war das erste PowerPC-Prozessordesign, welches Motorola vollständig in Eigenregie entwickelt hatte und bot einige sehr fortschrittliche Leistungsmerkmale. Dazu zählten die Velocity Engine zur Beschleunigung gewisser grafiklastiger Rechenprozesse und die Fähigkeit, mehrere Prozessoren in einem einzigen Computer einzusetzen.
Doch schon bald musste Apple auch die Schattenseiten der G4-Architektur kennen lernen. Motorola hatte von Beginn an grosse Mühe mit der Fertigung hoch getakteter G4-Prozessoren, so dass die Weiterentwicklung bald ins Stocken geriet.
Zur gleichen Zeit kämpften die Chiphersteller Intel und AMD um die Vorherrschaft im PC-Geschäft. In ihrem Wettstreit um die Performancekrone überboten sich die beiden Unternehmen beinahe im Monatsrhythmus mit noch schnelleren Prozessoren. Im März 2000 hatte AMD mit dem Athlon K7 die Gigahertz-Mauer durchbrochen, im Oktober antwortete Intel mit der Einführung des 1.5 Gigahertz schnellen Pentium-4-Chips. Im Sommer 2000 hätte ein höher getakteter G4-Prozessor unter der Bezeichnung G4+ auf den Markt kommen sollen, doch anhaltende Fertigungsprobleme seitens Motorola verhinderten eine Auslieferung. Als selbst ein Jahr nach der Einführung des Power Mac G4 noch immer keine schnelleren Prozessoren in Sicht waren, zog Apple die Notbremse und verbaute fortan zwei G4-Chips in die Profi-Macs. Gleichzeitig versuchte die Mac-Company krampfhaft zu erklären, dass der G4 dank seiner effizienten Architektur den Taktraten-Rückstand auf die Konkurrenz weitestgehend kompensieren könne.
Auch wenn es Motorola in der Folge doch noch gelang, mit dem G4-Prozessor die Gigahertz-Grenze zu durchbrechen, war von einem Nachfolger auch drei Jahre nach der Einführung des G4s noch immer keine Spur zu sehen. Apples Führung gelangte spätestens 2002 zur Überzeugung, dass man sich dringend aus der Abhängigkeit von Motorola lösen musste. Um dies zu erreichen, besann sich Apple seines früheren AIM-Partners IBM. IBM hatte in den Jahren zuvor mehrere erfolgreiche PowerPC-Produkte entwickelt und bot Apple an, auf der Basis des leistungsstarken POWER4-Serverchips einen Mac-kompatiblen Desktopprozessor herzustellen.
Innert weniger Monate entwickelte IBM den PowerPC 970, welcher ab 2003 unter dem Namen G5 in Apples Desktop-Rechnern Einzug hielt. Apple bezeichnete den brandneuen Power Mac G5 als den schnellsten PC der Welt. In der Tat waren seine Leistungsdaten beeindruckend. Im Top-Modell verbaute Apple zwei IBM-Prozessoren mit einer Taktfrequenz von zwei Gigahertz. Zu den weiteren Highlights des Power PC 970 zählten seine extrem schnelle Speicheranbindung und die 64-Bit-Unterstützung. All dies ermöglichte es Apple, nach Jahren der Erklärungsnot endlich wieder auf Augenhöhe mit der PC-Konkurrenz zu kämpfen. Als IBM öffentlich versprach, die Taktrate des G5-Prozessors innerhalb eines Jahres um 50 Prozent auf drei Gigahertz zu erhöhen, schien die PowerPC-Krise endgültig überwunden zu sein. Niemand hätte sich zu diesem Zeitpunkt vorstellen können, dass Apple dem PowerPC keine zwei Jahre später den Todesstoss versetzen würde.
Im Mai 2005 sorgte das Wall Street Journal mit der Schlagzeile für Aufsehen, Apple plane einen Wechsel von der PowerPC- auf die Intel-Plattform. Branchenkenner und Mac-Anwender zeigten sich beunruhigt über die Gerüchte. Der PowerPC bildete seit Jahren eines der wichtigsten Standbeine der Mac-Plattform. In den Augen vieler Apple-Fans war eine Partnerschaft zwischen Apple und Intel schlicht und ergreifend unvorstellbar.
Es dauerte nicht lange, bis der Mac-Hersteller für Klarheit sorgte. Am 6. Juni 2005 verkündete Steve Jobs offiziell Apples Absicht, ab 2006 sämtliche Macs auf Intel-Prozessoren umzurüsten.
Mit dem Wechsel der Prozessorplattform wagte Apple einen Schritt, der zuvor von vielen Experten als unmöglich bezeichnet wurde. Sämtliche Mac-Programme müssten nun für die Intel-Plattform umgeschrieben werden. Nur vier Jahre nach dem kraftraubenden Wechsel von Mac OS 9 auf OS X hätte kaum jemand Apple diesen Schritt zugetraut.
Auf der World Wide Developers Conference erklärte Steve Jobs, dass Apple von Beginn an jede Version von Mac OS X stets sowohl für PowerPC- als auch für Intel-Rechner kompiliert habe. Damit wollte sich Apple gegenüber seinen Partnern Motorola und IBM absichern. Und nun, als Motorola im PowerPC-Bereich keine grossen Stricke mehr zerriss und die Halbleitersparte sogar ausgliederte und sich IBM insbesondere mit der Entwicklung eines G5-Chips für Notebooks schwer tat, erwies sich diese Absicherung als goldener Rettungsanker. Nach jahrelangen Bemühungen, mit dem PowerPC den Weg aus der Sackgasse doch noch zu finden, war Steve Jobs endgültig der Geduldsfaden gerissen. Apple glaubte, mit dem Switch auf die Intel-Plattform die Mac-Verkäufe endlich wieder ankurbeln zu können. Ausserdem erhoffte sich Apples Chefetage eine bessere Softwareunterstützung der Mac-Plattform durch Dritthersteller, wenn diese ihre Programme nicht mehr für den PowerPC umschreiben müssten. Der Beweis, dass ein nahtloser Übergang vom PowerPC auf den Intel-Chip möglich ist, musste jedoch erst noch erbracht werden.
Apples Strategie für die Software-Umstellung beinhaltete drei Schlüsselkomponenten. Erstens lief Mac OS X mit allen Standardprogrammen bereits nativ auf Intel-Rechnern. Applikationen, die gut an Mac OS X angepasst waren, liessen sich mit geringem Aufwand umschreiben. Zweitens konnten bestehende Programme auf den neuen Intel-Macs dank einer Technologie namens Rosetta weiterhin problemlos betrieben werden, auch wenn der Performance gewisse Grenzen gesetzt waren. Drittens schuf Apple die Möglichkeit, Programme als Universal Binary zu kompilieren, so dass sie auf allen PowerPC- und Intel-Macs nativ laufen würden.
Dank diesen Vorkehrungen gestaltete sich der Intel-Switch für die Softwareanbieter grösstenteils reibungslos. Insbesondere Adobe und Microsoft sicherten Apple von Beginn an ihre Unterstützung zu und versprachen, ihre Programme in Zukunft als Universal Binary anzubieten.
Lediglich ein halbes Jahr nach der WWDC führte Apple die ersten Intel-Macs ein. Im MacBook Pro getauften PowerBook-Nachfolger sowie im iMac verrichtete fortan ein Prozessor des Typs Intel Core Duo seinen Dienst. Dieser bescherte besonders den Notebook-Besitzern einen wahren Geschwindigkeitsschub.
Apples Intel-Macs waren vom ersten Verkaufstag an erfolgreich. Innerhalb von nur acht Monaten stellte Apple die gesamte Mac-Palette auf die neue Architektur um. Ende 2006 waren die meisten Mac-Programme bereits als Universal Binary erhältlich und dank Boot Camp liess sich unterdessen sogar Windows auf den Intel-Macs betreiben. Durch den Intel-Switch war der Mac schlagartig für viele PC-User zu einer echten Alternative geworden. Im Jahr 2008 verkaufte Apple zehn Millionen Macs und hatte damit seinen Marktanteil innert drei Jahren mehr als verdoppelt.