Die Geschichte des iPhones
Kapitel 19
2. Ausgabe vom Dezember 2009
Wollte man versuchen, Apples gesamte Unternehmensphilosophie anhand eines einzigen Produktes zu veranschaulichen, so wäre das iPhone wohl das Paradebeispiel schlechthin.
Wie schon der Mac und der iPod viele Jahre zuvor wurde das iPhone aus der Vision heraus geboren, mit einem revolutionären Produkt in neue Märkte vorzustossen und diese von Grund auf zu verändern. Ausgestattet mit einer nahezu unerschöpflichen Portion Perfektionismus und getrieben vom Glauben, mit dem iPhone die Welt verändern zu können, arbeiteten rund 200 Ingenieure während zwei Jahren unter strengster Geheimhaltung an Apples Mobiltelefon.
Anders als der Mac und der iPod war das iPhone von Beginn weg die Idee von Steve Jobs gewesen. Schon kurz nach der Einführung des iPods war ihm aufgefallen, wie immer mehr Menschen neben einem Mobiltelefon auch einen PDA und einen MP3-Player mit sich herumtrugen. Für Jobs war klar, dass die Funktionen all dieser Geräte früher oder später in einem einzigen Gerät vereint werden müssten. Es würde möglich sein, über ein Mobiltelefon auf das Internet zuzugreifen, Kontakte, Notizen und E-Mails zu verwalten und sogar Musik und Videos abzuspielen. Zwar galten solche Geräte im Jahr 2002 noch als Zukunftsmusik, doch Jobs wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Multimedia-Handys dem iPod das Wasser abgraben würden.
Für Steve Jobs war schon damals klar, dass die dominante Marktposition des iPods auf weite Sicht nur zu schützen wäre, wenn Apple den iPod um Mobilfunkfähigkeiten erweitern würde. Gleichzeitig erkannte er aber auch die immensen Hürden, die für einen Einstieg ins Mobilfunkbusiness überwunden werden mussten. Ein iPhone bräuchte einen sehr viel leistungsfähigeren Prozessor als der iPod ihn besass. Auch die Software des iPods war nicht geeignet für ein Mobiltelefon. Apple müsste also ein neues Betriebssystem für mobile Anwendungen entwickeln, welches im Gegensatz zum Pixo OS des iPods fortschrittliche Netzwerk- und Grafiktechnologien unterstützen sollte. Neben den technologischen Hürden sah sich Apple aber noch mit weiteren Hindernissen konfrontiert. Unzählige Hersteller von Mobiltelefonen buhlten bereits um Kundengunst und hatten gegen sinkende Margen und übersättigte Märkte zu kämpfen. Ausserdem war man als Hersteller der Willkür der Netzbetreiber vollständig ausgeliefert. Es waren die Netzbetreiber, welche die Preise und häufig sogar den Funktionsumfang der Mobiltelefone diktierten. Von einer flächendeckenden Versorgung mit Breitband-Netzwerken waren diese jedoch sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten noch weit entfernt.
Um diese Klippen zu umschiffen, wandte sich Steve Jobs im Sommer 2004 an Motorolas CEO Ed Zander und schlug ihm vor, gemeinsam ein iTunes-Phone zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Motorola war damals der zweitgrösste Handy-Hersteller weltweit und hatte mit dem RAZR unlängst einen Verkaufshit gelandet.
Zander brauchte nicht lange zu überlegen, um in den Deal mit Apple einzuwilligen. Die Vereinbarung sah vor, dass Motorola ein neues Mobiltelefon entwickeln würde, auf der eine von Apple beigesteuerte Mobilversion von iTunes laufen sollte.
Steve Jobs führte das ROKR getaufte Motorola-Handy im September 2005 erstmals der Öffentlichkeit vor. Doch bereits bei der Vorstellung des ROKRs bemühte sich Jobs gar nicht erst, seine Abneigung gegenüber dem Gerät zu überspielen. Das ROKR sah langweilig aus und besass keinerlei Merkmale, mit denen es sich von der Konkurrenz hätte abheben können. Selbst die Musik-Funktion war arg eingeschränkt. Zwar liess sich das ROKR über iTunes synchronisieren, es speicherte aber lediglich 100 Songs. Als iPod-Ersatz war das ROKR schlicht und ergreifend untauglich.
Man musste kein Prophet sein, um das Scheitern des ROKRs vorauszusehen. Bereits kurze Zeit nachdem Motorola erste Prototypen des Gerätes produziert hatte, beschloss der Apple-Vorstand, die Entwicklung eines eigenen Mobiltelefones in Angriff zu nehmen. Im Februar 2005 kam es in einem New Yorker Hotel zu einem Geheimtreffen zwischen Steve Jobs und Stan Sigman, dem Wireless-Chef des Netzbetreibers Cingular.
Jobs präsentierte seine Pläne für ein Apple-Phone. Ihm schwebte ein revolutionäres Mobiltelefon vor, welches die Funktionen eines Computers, eines iPods und eines Telefons verschmelzen würde. Und er hatte allen Grund, optimistisch zu sein. Apple hatte die Technologie für eine Touchscreen-Bedienoberfläche bereits entwickelt und mit dem ARM11-Chip war unterdessen auch ein Prozessor auf dem Markt, der ausreichend Leistung für mobile Anwendungen bot.
Steve gelang es, das Interesse von Cingular zu wecken und bot eine Exklusivpartnerschaft an. Sigman erkannte, welches Potenzial hinter Apples Plänen steckte. Und er wusste genau, dass sich Cingular mit der exklusiven Verfügbarkeit eines Must-have-Mobiltelefons einen ungeheuren Wettbewerbsvorteil verschaffen könnte. Ausserdem erhoffte er sich, künftig vermehrt Datenabos anstelle günstiger Gesprächsminuten verkaufen zu können. Und welches Gerät würde sich hierfür besser eignen als ein iPhone?
Das Meeting in New York bildete den Startschuss zu langwierigen und zähen Verhandlungen. Apple verlangte uneingeschränkte Kontrolle über Funktionsumfang und Preisgestaltung des iPhones. Zahlreiche Cingular-Manager wehrten sich vehement gegen die Idee, einem absoluten Aussenseiter der Branche derart viel Macht einzuräumen. Doch Sigman war überzeugt, das iPhone würde so grosse Datenvolumen erzeugen, dass die Rechnung für Cingular letztlich trotzdem aufgehen würde. Im Frühsommer 2006 kam der Deal mit Apple zustande.
Bereits ein Dreivierteljahr zuvor hatte Apple einen internen Fahrplan für das iPhone aufgestellt. Apples Ingenieure mussten einige grundlegende Fragen im Eiltempo klären. Die wichtigste aller Fragen betraf die Wahl eines Betriebssystems. Das iPhone sollte leistungsfähige Applikationen ausführen können, trotzdem standen dem System nur sehr begrenzte Ressourcen zur Verfügung. Erst tendierte Apple zu Linux, doch dann entschied man sich für eine abgespeckte Fassung von OS X.
Apple investierte enorme Ressourcen in Forschung und Entwicklung. Die gesamte Infrastruktur zur Entwicklung von Mobilfunk-Hardware musste erst noch aufgebaut werden. Zur Untersuchung des Strahlungsverhaltens und zur Simulation von Mobilfunknetzwerken installierte Apple millionenteure Versuchsstände. Apple trieb die Entwicklung des iPhones mit voller Kraft voran und scheute keinen Aufwand. Insgesamt verschlang die iPhone-Entwicklung rund 150 Millionen Dollar.
Wie zuvor schon beim iPod, legte Apple höchsten Wert auf Geheimhaltung. Hard- und Software wurden grösstenteils unabhängig voneinander entwickelt, die Ingenieure wurden in kleinen Gruppen auf verschiedene Standorte über den ganzen Apple-Campus verteilt. Als die Entwickler im Herbst 2006 einen ersten Prototypen vollendet hatten, bekamen nur rund 30 Köpfe das Gerät zu sehen.
Steve Jobs wollte das iPhone spätestens auf der Macworld im Januar 2007 zumindest vorstellen können. Doch der Prototyp war ein einziges Desaster. Selbst grundlegende Features funktionierten nicht.
Jedes Mitglied des iPhone-Teams wusste, dass nun der Endspurt begann. Innert dreier Monate musste aus dem Prototyp ein funktionierendes Produkt entstehen. Für viele Apple-Ingenieure war dies die stressigste Zeit ihrer gesamten Karriere. Doch der ungeheure Kraftakt zahlte sich aus. Mitte Dezember musste Steve Jobs bei AT&T, wie Cingular unterdessen hiess, antraben und dem Netzbetreiber ein erstes Mal einen Blick auf das iPhone gewähren. Und was Sigman und sein Team zu sehen bekamen, war absolut beeindruckend. Jobs zeigte die Multitouch-Oberfläche mit all ihren Raffinessen, den integrierten iPod, den Safari-Browser. Sigman war hellauf begeistert.
Nicht weniger euphorisch reagierte das Macworld-Publikum auf die iPhone-Ankündigung am 9. Januar 2007. Bis das iPhone seinen Weg in die Hände der Kunden fand, sollten allerdings noch einige Monate verstreichen. Am 29. Juni war es soweit: Apple brachte das iPhone in den Vereinigten Staaten auf den Markt.
Das iPhone besass ein verglastes 3.5-Zoll-Display mit 320x480 Pixel Auflösung und automatischer Helligkeitsregelung. Ein Beschleunigungssensor sorgte für ein selbständiges Umschalten zwischen Hoch- und Breitbildformat. Die Power lieferte ein 412 Megahertz schneller ARM-Chip, dem 128 Megabyte Arbeitsspeicher zur Seite standen. Zu den weiteren Features zählten eine integrierte Kamera sowie die Unterstützung von Bluetooth und WiFi.
Mit vier Gigabyte Flash-Speicher kostete das iPhone 499 US-Dollar, für 599 Dollar bot Apple eine Konfiguration mit acht Gigabyte Speicher an. Wer ein iPhone erwarb, musste zwingend einen AT&T-Vertrag mit zweijähriger Laufzeit abschliessen. Dabei unterstützte das iPhone AT&Ts GPRS/EDGE-Netzwerk, aber keine 3G-Netze.
Am ersten Wochenende verkaufte Apple rund eine halbe Million iPhones und auch in den Folgemonaten blieben die Verkaufszahlen hoch. Bereits im September 2007 senkte Apple den Preis des 8-Gigabyte-Modells um einen Drittel. Doch selbst dann verdiente Apple noch immer 80 Dollar an jedem verkauften iPhone und weitere 240 Dollar an jedem abgeschlossenen AT&T-Vertrag. Auch für AT&T entwickelte sich das iPhone zum durchschlagenden Erfolg. Vierzig Prozent der iPhone-Käufer waren Neukunden. Der über das AT&T-Netz abgewickelte Datenverkehr verdreifachte sich vielerorts innert kürzester Zeit.
Apple verbesserte das iPhone kontinuierlich. Im Sommer 2008 verdoppelte Apple die Speicherkapazität und ergänzte das iPhone um 3G-Unterstützung. Gleichzeitig führte Apple auch eine runderneuerte Version des iPhone-Betriebssystems ein. Bis im Herbst 2009 verkaufte Apple 30 Millionen iPhones in 87 Ländern. Damit zählte Apple bereits zwei Jahre nach seinem Markteinstieg zu den grössten Smartphone-Herstellern der Welt.
Neben dem leistungsfähigen Betriebssystem und der innovativen Hardware war es vor allem der App Store, welcher Apple zum Durchbruch im Mobilfunkgeschäft verhalf. Ursprünglich liefen auf dem iPhone lediglich rund ein Dutzend von Apple bereitgestellte Programme. Damit waren weder die Endanwender noch die Drittanbieter glücklich. Letztere drängten Apple zur Öffnung der iPhone-Plattform, um eigene Applikationen für das iPhone schreiben zu können. Dieser Wunsch erfüllte sich im Juli 2008 mit der Eröffnung des in iTunes integrierten App Stores.
Apple bot ein Software-Development-Kit an und erlaubte es Drittanbietern fortan, gegen eine Provision von 30 Prozent eigene iPhone-Programme zu vertreiben. Der Erfolg übertraf sämtliche Prognosen. Zwölf Monate nach dem Start umfasste der App Store 65’000 iPhone-Applikationen. Insgesamt hatten die Anwender eineinhalb Milliarden Programme über den App Store bezogen. Keine andere Mobil-Plattform konnte mit diesen Zahlen auch nur annähern mithalten.
Ohnehin hatte das iPhone deutliche Spuren im gesamten Mobiltelefon-Markt hinterlassen. Apple hatte es als erster Hersteller geschafft, die Kontrolle über die Abomodelle und die Preisgestaltung in den eigenen Händen zu halten und nicht an die Netzbetreiber abgeben zu müssen. Die Erfolge Apples liessen auch die Konkurrenz aufhorchen. Samsung, Palm und weitere Smartphone-Hersteller kündigten eigene Multitouch-Geräte an und Google stieg mit Android im Jahr 2008 ebenfalls in den Markt für mobile Betriebssysteme ein.