Der iMac
Kapitel 14
2. Ausgabe vom Dezember 2009
Steve Jobs begann, fast alle Entscheidungen seiner Vorgänger rückgängig zu machen. Jene Projekte, welche unter Sculley oder Spindler lanciert wurden, stellte Jobs nun ein. Kurz nachdem Jobs am 16. September offiziell sein Amt als Interims-CEO antrat, liess er verlauten, dass Apple künftig wieder mit der Werbeagentur Chiat/Day zusammenarbeiten würde.
Im November folgte Jobs’ erste grosse Produktankündigung. Apple führte den Power Macintosh G3 ein, der auf dem PowerPC-750-Chip von Motorola basierte. Zwar war dieser Prozessor verhältnismässig tief getaktet, doch dank einer guten Speicheranbindung, einem neuen Cachedesign und neuen Fertigungsmaterialien war er dennoch wegweisend. Aufgrund seines tiefen Energieverbrauchs liess er sich auch in Notebooks problemlos einsetzen. Apple präsentierte gleichzeitig mit den neuen Power Macs auch das PowerBook G3. Ein Power Mac G3 mit 233 Megahertz kostete trotz seiner umfangreichen Ausstattung lediglich 2’000 Dollar. Das PowerBook G3 sprach das Hochpreissegment an und kostete 5’700 Dollar. Ausgestattet mit einem 250 Megahertz schnellen G3-Prozessor, einer 5-GB-Festplatte, einem neuartigen Soundsystem und zahlreichen weiteren Innovationen war es leistungsfähiger als die meisten damals erhältlichen Desktop-Computer. Von Beginn an war die Nachfrage nach G3-Macs enorm. Dazu trug auch der Apple Store bei, der Ende 1997 seine elektronischen Pforten öffnete und dank dem die Kunden ihren Wunschmac bequem von Zuhause aus konfigurieren und online bestellen konnten.
Im ersten Fiskalquartal 1998 notierte Apple einen Gewinn von 47 Millionen Dollar. Das war erst der zweite Quartalsgewinn, seit Apple zwei Jahre zuvor in die roten Zahlen gerutscht war. Auf der Macworld Expo führte Jobs Mac OS 8.1 vor, welches ein neues Dateisystem einführte und deutlich schneller lief. Mac OS 8 hatte sich bis dahin über drei Millionen Mal verkauft, was ein grossartiges Ergebnis darstellte.
Im Sommer 1998 konnte Apple die dritte positive Quartalsbilanz hintereinander verbuchen. Innert sieben Monaten hatte sich der Power Mac G3 700’000 Mal verkauft, der Aktienkurs hatte sich innerhalb von einem knappen Jahr verdreifacht. Jobs hatte nach weniger als einem Jahr Amtszeit das erreicht, was seine Vorgänger jahrelang nicht geschafft hatten. Er befreite Apple von den anarchischen Zuständen und führte in Cupertino wieder Disziplin und Ordnung ein. Jobs gab Apple wieder einen Fokus, in seiner Gegenwart wuchs die Überzeugung, mit Apple wieder etwas Aussergewöhnliches erschaffen zu können.
Im Mai 1998 stellte Apple einen neuen Computer vor, den iMac. Auf dem Bildschirm des All-in-one-Macs stand der Schriftzug «Hello (Again)», mit dem iMac wollte Jobs an die Idee des Ur-Macs anknüpfen. Der iMac, welcher von Apple als Volkscomputer des Internet-Zeitalters beworben wurde, war die verkörperte Antithese des klassischen Computerdesigns. Anstatt ihn in ein lieblos aussehendes, kastenförmiges Standardgehäuse in tristem Grau zu stecken, entschied sich der Designer Jonathan Ive für einen völlig neuen Weg: Er verlieh dem iMac ein freundlich lächelndes Gesicht, verwendete farbige Materialien und runde Formen. Der iMac vollendete Apples Comeback, Cupertino durfte sich wieder über positive Schlagzeilen freuen. Die Idee des iMacs war auf Steve Jobs zurückzuführen, er hatte das Projekt unmittelbar nach seinem Amtsantritt als Interims-CEO gestartet. Jobs hatte erkannt, wie viel ungenutztes Talent in den Entwicklungsteams bei Apple steckte. Durch sein Vertrauen erhielten die Designer und Ingenieure die Möglichkeit, völlig neue Wege im Computerbau zu gehen und neue Ideen zu verwirklichen. Nun war die Zeit der Ernte gekommen. Im Frühjahr 1998 startete Apple die Think-Different-Kampagne, welche in Zusammenarbeit mit Chiat/Day kreiert wurde. Auf den Werbeplakaten waren berühmte Persönlichkeiten abgebildet, welche als Genies und Weltveränderer in die Geschichte eingegangen waren.
Technisch war der iMac nichts Aussergewöhnliches. Unter dem Gehäuse in bondi-blue steckte die gleiche Technik wie in den ersten G3-Power-Macs. Apple spendierte dem iMac einen 233 Megahertz schnellen G3-Chip, eine 4 Gigabyte grosse Festplatte und 32 Megabyte Arbeitsspeicher. Als Bildschirm verwendete Apple ein hochauflösendes 15-Zoll-Display. Ein Modem, ein schneller Netzwerkanschluss, ein integriertes Soundsystem sowie die neue USB-Schnittstelle rundeten das Gesamtpaket ab. Apple nahm 280’000 Vorbestellungen entgegen, der iMac verkaufte sich besser als jeder andere Computer zuvor und entwickelte sich zu einer unglaublichen Erfolgsstory. Die Ursache für die hohen Verkaufszahlen lag nicht zuletzt bei Steve Jobs. Er hatte erkannt, welche Fehler Apple in der Vergangenheit begangen hatte. Mit 1’299 Dollar kostete der iMac weniger als die meisten Computer der Konkurrenz. Auch die anfangs umstrittene Entscheidung, weder ein Diskettenlaufwerk noch eine SCSI-Schnittstelle zu liefern, entpuppte sich als goldrichtig. Der iMac präsentierte sich als Computer der Zukunft, er liess keinen Raum für die technologischen Relikte vergangener Zeiten. Dank USB konnte der iMac wesentlich besser mit Peripheriegeräten kommunizieren. USB war gegenüber den älteren Schnittstellen nicht nur schneller, sondern erlaubte auch das Anstecken von Zusatzgeräten im laufenden Betrieb. Apple setzte als erster Hersteller auf die neue Technologie, mit dem iMac begann auch der Siegeszug von USB, so dass innert weniger Monate hunderte von USB-Geräten im iMac-Design erschienen. Apple bemühte sich, den iMac möglichst aggressiv weiterzuentwickeln. Binnen eines Jahres wurde der iMac dreimal überarbeitet, Apple erhöhte die Taktfrequenz, verbesserte die Ausstattung und bot den beliebten Computer ab 1999 in fünf neuen Farbtönen an. Im Oktober 1999 stellte Jobs einen runderneuerten iMac vor. Neben einem Facelifting erhielt der iMac eine neue Hauptplatine mit schnellerer Grafik und FireWire sowie ein Slot-in-DVD-Laufwerk. Neu wurde der iMac in drei Ausstattungsvarianten angeboten. Bis zu 250’000 Exemplare wanderten nun Monat für Monat über den Ladentisch und spülten kräftig Geld in Apples Kasse.
Als Jobs den iMac im Sommer 1998 enthüllte, erklärte er dem anwesenden Publikum zugleich Apples neue Produktstrategie. Bereits Amelio hatte erkannt, dass Apple sein Produktportfolio vereinfachen musste, doch die entscheidenden Schritte leitete erst Steve Jobs ein. Er verkündete, Apple werde künftig nur noch vier Modellreihen anbieten. Seine Produktmatrix bestand aus Desktop-Macs und Notebooks jeweils für Geschäftskunden und Heimanwender. Während Apple dank dem Power Mac G3 und dem PowerBook G3 im Business-Markt gut positioniert war, gab es für Heimanwender und Schulen lediglich den iMac. Erst im Sommer 1999, als Jobs die Eröffnungskeynote der Macworld Expo in New York hielt, erfüllte er sein Versprechen und vervollständigte Apples Produktpalette um den letzten fehlenden Baustein. Jobs präsentierte dem begeistert applaudierenden Publikum das 1’599 Dollar teure iBook, welches in den Farben Blueberry und Tangerine ab September in den Verkaufsregalen stand. Die Parallelen zum iMac waren auf den ersten Blick sichtbar. Apple warb passend mit dem Slogan «iBook - iMac to go». Sowohl das Design als auch die Ausstattung und die Preisgestaltung waren stark an das Vorbild des iMacs angelehnt, von welchem Apple im ersten Jahr mehr als zwei Millionen Stück abgesetzt hatte. Apple hatte sich bei der Konstruktion des iBooks Zeit gelassen und viele Kundenwünsche berücksichtigt, das zahlte sich nun aus. Es war das erste brauchbare Consumer-Notebook überhaupt. Und als wäre das noch nicht genug gewesen, zauberte der Magier Jobs mit den Worten «One more thing» ein weiteres Feature aus seinem Hut. Das iBook verfügte als erster Computer über die WLAN-Technologie, von Apple AirPort genannt, dank der sich drahtlose Netzwerke aufbauen liessen.
Das Jahr 1999 entwickelte sich zu einem fantastischen Jahr für Apple. Die anhaltend hohen Verkaufszahlen beim iMac und beim iBook bescherten dem kalifornischen Computerhersteller einen Reingewinn in der Rekordhöhe von 600 Millionen Dollar. Der PowerPC G3 hatte dafür gesorgt, dass das Preis-Leistungsverhältnis der Macs hervorragend war, was viele Windows-User zum Kauf eines iMacs animierte. Zwar hatte Intel mit der Einführung des Pentium-III-Chips im Frühjahr 1999 aufgeholt, doch im September schickte Apple sich an, den ursprünglichen Geschwindigkeitsvorsprung des Macs wieder herzustellen. Apple stellte den Power Mac G4 vor, in dem der brandneue PowerPC-7400-Prozessor (G4) von Motorola mit Taktraten bis 500 Megahertz seinen Dienst verrichtete.
Nach der Jahrtausendwende ging es für Apple darum, den Umsatz und den Marktanteil zu steigern. Dank anhaltend hohen Gewinnen verfügte Apple unterdessen über vier Milliarden Dollar an liquiden Mitteln. Dennoch hatte sich 1999 der Jahresumsatz auf dem tiefen Stand von rund sechs Milliarden stabilisiert. Doch der Mac-Company gelang es, den wiedererlangten Schwung ins neue Jahrtausend hinüber zu nehmen.
Das Jahr 2000 entwickelte sich fantastisch. Apple übertraf den Rekordgewinn aus dem Vorjahr um beinahe 200 Millionen Dollar und verkaufte mit 4.5 Millionen Macs so viele Computer wie noch nie. Im September vollzog Apple einen Aktiensplit, nachdem der Kurs in den vergangenen Quartalen stark angezogen hatte. Damals ahnte noch niemand, dass es die vorläufig letzte positive Schlagzeile aus Cupertino sein sollte. Urplötzlich zogen dunkle Wolken auf, im Weihnachtsquartal, dem ersten Quartal des Fiskaljahres 2001, veröffentlichte Apple eine Gewinnwarnung und prognostizierte einen Quartalsverlust.