Das dynamische Duo
Kapitel 06
2. Ausgabe vom Dezember 2009
Jobs und Sculley liessen keine Gelegenheit aus, um den Macintosh in der Öffentlichkeit anzukündigen. Dadurch hielten sie viele potenzielle Interessenten vom Kauf eines LISAs ab, womit sie letzterem ungewollt den endgültigen Todesstoss versetzten. Rund ein Jahr nach der Vorstellung des LISAs war es am 22. Januar 1984 endlich so weit. Während des Super Bowl XVIII strahlte Apple einen Werbespot aus, der den über 100 Millionen Fernsehzuschauern eine unmissverständliche Botschaft verkündete: Der Macintosh ist da. Chiat/Day, Apples Werbeagentur, griff mit dem Spot das damals sehr populäre Thema der orwellschen Zukunftsvision einer totalitären Gesellschaft auf. In farblosen, nur schemenhaft erkennbaren, düsteren und erdrückenden Gewölben verfolgt eine Gruppe bewaffneter Soldaten eine junge, sportliche Frau, welche, bekleidet mit roten Hosen und einem hellen Mac-Shirt, aus ihrer Welt ausbrechen will. Sie dringt ein in einen Saal voller Arbeiter, welche in unzähligen Reihen sitzen und mit versteinerten, ausdruckslosen Mienen auf eine Leinwand starren. Auf Big Brother, die Personifizierung der absoluten Kontrolle und Macht, auf die Personifizierung des Bösen. In seiner martialischen Rede verkündet Big Brother den Triumph der staatlichen Ideologie über das Individuum:
Mit einer dynamischen Drehbewegung wirft die junge Frau einen Vorschlaghammer auf das Gesicht von Big Brother und bringt ihn somit zum Schweigen und gleichzeitig den versammelten Menschen die Erleuchtung. In diesem Moment erscheint der Slogan: «On January 24th, Apple Computer will introduce Macintosh. And you’ll see why 1984 won’t be like ‘1984’»
Ursprünglich wollte Apples Führungsetage den Spot gar nicht ausstrahlen, erst durch Jobs’ Überzeugungskraft wurde er schlussendlich doch übertragen. Die Reaktionen waren unbeschreiblich und überstiegen sämtliche Erwartungen. Nie zuvor in der Geschichte löste ein Werbespot ein solch gigantisches Echo aus. Dieser Erfolg schuf dem Mac eine ideale Startrampe. Viele Leute wollten wissen, was es mit dem Mac auf sich hatte. Mit dem Spot setzte Apple Sculleys Vorstellungen von «Event Marketing» um. Seiner Meinung nach sollte die Werbung genauso kontrovers diskutiert werden wie das eigentliche Produkt selbst.
Sculley beschloss deshalb, «1984» kein weiteres Mal zu senden, was für zusätzliches Aufsehen sorgte. Es war offensichtlich, welche Botschaft Apple mit «1984» verkündete. Der Macintosh sollte Erneuerung und Veränderung bringen, er sollte Big Brother besiegen. Doch wer war Big Brother? Apple selbst äusserte sich dazu zwar nicht, doch die Worte, welche Big Brother mit autoritärem Tonfall predigte, liessen keine Zweifel aufkommen: Big Brother stand für IBM, «the big blue». Apple sah im Mac eine Waffe, um gegen IBM in den Krieg zu ziehen und deren Marktmacht zu zerschlagen.
Zwei Tage nach dem Superbowl stellte sich der Macintosh auf der alljährlichen Aktionärsversammlung mit synthetischer Stimme dem euphorischen Publikum gleich selbst vor.
Jobs war am Höhepunkt seiner Karriere angelangt. Er hatte allen bewiesen, dass auch unter seiner Leitung ein guter Computer entwickelt werden konnte. Und durch John Sculley erhielt er die nötige Unterstützung, um sein Ansehen innerhalb des Unternehmens wieder aufzupolieren. Steve Jobs wollte, dass die Menschen im Mac nicht einfach einen Computer sahen. Der Mac sollte mehr als ein Computer sein, Jobs betrachtete ihn als Kunstwerk. Die Erschaffer des Macintoshs präsentierten sich als Künstler. Auf der Gehäuseinnenseite des Macs wurden ihre Unterschriften eingraviert, womit sie ihr Kunstwerk signiert und sich selber verewigt hatten.
Obwohl es Apple verstand, den Mac nicht nur als Computer darzustellen, sondern ihm eine Persönlichkeit, eine Seele zu verleihen, musste sich der Mac auch an seiner Ausstattung messen lassen. Sein Herz bestand aus einem 68000er Mikroprozessor von Motorola, welcher mit einer Taktfrequenz von 7.83 Megahertz arbeitete. Integriert waren zudem 128 Kilobyte RAM sowie ein 3 1/2-Zoll-Diskettenlaufwerk mit 400 KB Speicherkapazität. All das war untergebracht in einem grauen Kunststoffgehäuse mit integriertem 9-Zoll-Monitor und wog lediglich acht Kilogramm. Der Bildschirm konnte Grafiken mit bis zu 512x324 Bildpunkten darstellen, was den Grafikfähigkeiten des Macs sehr zu Gute kam. Für den gesamten Computer verlangte Apple einen Preis von 2’495 Dollar, womit der Mac kaum mehr etwas mit Raskins Idee des 500-Dollar-Computers gemein hatte. Dass Apple gleichzeitig mit dem Mac auch eine überarbeitete Version des LISAs, den 3’495 Dollar teuren LISA 2, einführte, interessierte zu diesem Zeitpunkt bereits kaum jemanden mehr. Nur wenige Monate später wurde die LISA-Abteilung in die Mac-Division integriert und der LISA 2 in Mac XL umgetauft, bevor er nur kurze Zeit danach ganz von der Bildfläche verschwand.
Der Werbespot «1984» und die spektakuläre Produkteinführung verfehlten ihre Wirkung nicht. Von Beginn an war der Mac ein Erfolg. Schon am ersten Tag gingen tausende Bestellungen ein, die Kunden standen vor den Computerläden Schlange. Es gelang Apple, innerhalb von 75 Tagen über 50’000 Macintoshs zu verkaufen. Apple startete eine gross angelegte Werbekampagne und erhöhte die Lagerkapazitäten massiv. Jobs und Sculley träumten davon, dass bald jeder Haushalt mit einem Mac ausgestattet sein würde. Ihrer Vorstellung nach sollte der Mac als Einrichtungsgegenstand auf jedem Schreibtisch stehen, so wie es beim Telefon bereits der Fall war. Die starke Nachfrage schien ihnen Recht zu geben. Immer mehr Hersteller sprangen auf den Zug auf und entwickelten Software und Zubehör für den Mac. 1984 erwirtschaftete Apple einen Umsatz von 1.5 Milliarden Dollar und erzielte damit ein Wachstum von über 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr. John Sculley und Steve Jobs verstanden sich prächtig, die Presse betitelte sie als «The Dynamic Duo».
Im Hinblick auf das Weihnachtsgeschäft investierten die beiden über 100 Millionen Dollar, um ein gewaltiges Lager aufzubauen. Sie rechneten mit einem Mac-Absatz von einer halben Million Einheiten pro Quartal. Doch dann pendelten sich die monatlichen Verkaufszahlen bei 20’000 Geräten ein. Sculley lancierte im November 1984 die Werbekampagne «Test drive a Macintosh». Er dachte, wenn die Leute einmal an einem Mac gearbeitet hätten, würden sie nicht mehr darauf verzichten wollen. Mehrere hunderttausend Menschen durften für 24 Stunden gratis einen Mac testen. Doch Sculley überschätzte den Effekt dieser Aktion. Nur wenige Interessenten kauften sich tatsächlich einen Mac, überdies wurden viele Geräte defekt zurückgebracht.
Zu Beginn des Jahres 1985 sass Apple auf einem Berg von Macintoshs, die sich nicht verkaufen liessen. Viele Händler verlangten die Rücknahme bereits getätigter Bestellungen. Nach dem anfänglichen Kaufrausch traten die Mängel des Macs immer deutlicher hervor. Er besass keine Festplatte und durch die geringe Speicherausstattung arbeitete der Mac nur sehr träge. Unausgereifte Software verschlimmerte die Situation zusätzlich. Immer häufiger wurde der Mac als Spielzeug und nicht als ernsthafter Computer eingestuft. Die Ingenieure, welche bis zur letzten Sekunde Tag und Nacht an der rechtzeitigen Fertigstellung des Macs gearbeitet hatten, waren ausgelaugt und verfügten nicht über genügend Energie, um sofort mit der Entwicklung von Nachfolgeprodukten zu beginnen.
Acht Monate nach der Markteinführung vervierfachte Apple den Speicher des Macs, doch die restlichen Kritikpunkte blieben bestehen. 1984 konnte Apple 300’000 Macs verkaufen, im Jahr darauf kamen lediglich 200’000 Exemplare hinzu. Das ursprüngliche Minimalziel lautete, bis 1985 zwei Millionen Geräte zu verkaufen. Mit Apple ging es abwärts. Zum ersten Mal in der Firmengeschichte schrieb Apple einen Quartalsverlust. 20 Prozent der Mitarbeiter wurden entlassen. Im Gegensatz zu früher war Apple nicht mehr in der Lage, sämtliche Fehler durch die Verkäufe des Apple II wettzumachen. Nun begab sich der Vorstand auf die Suche nach den Verantwortlichen für das Desaster.