Angry Birds im Kindergarten: Tablet-Nutzung an Schulen wird kritisiert
Die Sendung «Rundschau» des Schweizer Fernsehens unterzog die Nutzung von Tablets an Schulen in der letzten Ausgabe einer kritischen Betrachtung.
Erfundene Geschichten und Angry Birds
In der Sendung wurde ein Pilotprojekt aus dem Aargau portraitiert, in welchem Kindergarten-Kinder das iPad nutzen, um beispielsweise den Mitschülern eine selbst erfundene Geschichte vorzutragen. Das iPad kommt in den Kindergärten wochenweise zum Einsatz und den Kindern wird die Entscheidung überlassen, ob sie das iPad oder das klassische Lern-Material nutzen wollen.
Obwohl die Nutzung von Lern-Apps im Vordergrund zu stehen scheint, wird auch die Nutzung des beliebten Spiels «Angry Birds» erlaubt. Für Professor Lutz Jäncke (Neuropsychologie Uni Zürich) ist das Spielen von Video-Spielen im Kindergarten problematisch, weil sich so bereits in jungen Jahren das Lustzentrum im Gehirn vergrössert. Eine direkte Folge dieser Veränderung sei die erhöhte Gefahr, später seine Reize nicht mehr kontrollieren zu können und einer Sucht zu verfallen.
Für Claudia Fischer von der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz muss die Schule den Schülern auch die Kompetenz zur Nutzung von Tablets vermitteln. Die meisten Kinder sind ihrer Meinung nach bereits von Haus aus an Tablets gewohnt. Diese Ansicht wurde auch von einem Kindergärtner bestätigt, welcher bereits seit Jahren über sein eigenes Tablet verfügt.
Mathe und Freunde
Auch auf höheren Schulstufen wird das iPad eingesetzt, um sich beispielsweise den Mathematik-Stoff besser aneignen zu können. An einer von der Rundschau portraitierten Schule in Affoltern am Albis ist man vom Nutzen der iPads als Lernmaterial überzeugt. Es wird insbesondere auf die gesteigerte Lern-Motivation hingewiesen, welche durch den Einsatz von Tablets entstehen soll. Auch Erfahrungsberichte aus den USA deuten in diese Richtung. Von einer Schülerin wurde insbesondere die Möglichkeit, nebenher mit den Freunden kommunizieren zu können, positiv hervorgehoben.
Hirnforscher Lutz Jäncke plädierte in der Sendung für ein Unterbinden des Multi-Taskings während dem Lernen. Während des Lernprozesses sollen sich die Schüler nur auf das Erlernen des neuen Wissens konzentrieren und nicht mit anderen Aktivitäten abgelenkt werden, wie der Professor darlegte. Das menschliche Gehirn sei nicht für die Ausführung zweier Aufgaben zur gleichen Zeit ausgelegt — besonders nicht während dem Lernprozess.
Tablet-Einsatz erfordert neue Lektionsgestaltung
Auch durch den verstärkten Tablet-Einsatz an Schulen kann der klassische Schulbesuch nicht ersetzt werden. Tablets seien schlechte Lehrer, die die Gefühlslage des Kindes nicht erkennen können und so auch nicht angemessen auf die veränderten Umstände reagieren, wie Urs Utzinger von der PH Luzern jüngst gegenüber der Luzerner Zeitung sagte.
Somit könne auch das iPad den Einsatz des Lehrers nicht ersetzen. Andererseits sei der Lehrer dank dem Einsatz von Tablets in der Lage, den Schülern massgeschneiderte Lerninhalte anbieten zu können. So können starke Schüler beschäftigt werden, während den schwächeren Schülern eine intensivere Betreuung geboten werden kann.
Allerdings muss beim verstärkten Einsatz von Tablets auch der Aufbau der einzelnen Lektionen umgebaut werden. Während man den Schülern aktuell noch mittels Frontalunterricht die meisten Inhalte vermittelt, müssen sich in Zukunft die Kinder die Inhalte vermehrt selbständig erarbeiten. Nur dank dieser Umstrukturierung des Unterrichts ist es möglich, die Vorteile des Tablets optimal zu nutzen.
Tablets an Schulen auf dem Vormarsch
Ebenfalls kritisch betrachtet wurde von der Rundschau das Werben der IT-Konzerne auf dem Bildungsmarkt. Apple bildet jedes Jahr sogenannte «Apple Distinguished Educators» aus, welche für das Unternehmen als Bildungs-Botschafter dienen. Auch Samsung will mit seinen Tablets den Bildungs-Markt in Zukunft intensiver bearbeiten.
Immer mehr Schulen wollen ihren Schülern Tablets zur Verfügung stellen. Beispielsweise im Kanton Luzern gibt es aktuell ein Pilotprojekt zur Nutzung des iPads an Schulen. An vier Volksschulen beteiligen sich 24 Klassen am Projekt. Auch der Kanton Solothurn und weitere Kantone haben bereits Pilotprojekte lanciert.
Beispiele aus dem Ausland zeigen auch problematische Aspekte der zunehmenden Verbreitung von Tablets an Schulen. Nach rund einer Woche hatten Schüler in Los Angeles die Sperre des iPads ausgehebelt und konnten so den vollen Funktionsumfang des iPads nutzen.
Von Patrick Bieri
Veröffentlicht am
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