Zwischen gut und böse
Think Different nur gegen Aufpreis
Hurra, das MacBook ist da! Gross ist die Erleichterung der Mac-User, dass Apple endlich den letzten G4-Mac aus dem Sortiment genommen und gegen ein Core-Duo-Pendant ausgetauscht hat. Viele Anwender warteten seit Wochen sehnsüchtig auf diesen Augenblick. Immerhin war das iBook G4 seit eineinhalb Jahren nicht mehr auf der Höhe der Zeit und schon seit Monaten der Opa in Apples Modellpalette. Nun steht mit dem MacBook ein iBook-Nachfolger in den Startlöchern, der es in sich hat: 2 GHz Core Duo für rund 1’800 Franken - so viel Rechenleistung für so wenig Geld bietet kein anderes Notebook. Doch das MacBook bietet noch viel mehr: Eine ultraschnelle Grafik von Intel, ein innovatives Combo-Drive, zeitgemässe 512 Megabyte Speicher und ein brandneues, aufregendes Gehäusedesign - für 300 Franken Aufpreis sogar in elegantem schwarz.
Für viele mag das MacBook ein absoluter Knüller sein; was angesichts der geballten Rechenpower eine verständliche Haltung ist. Für mich ist es vor allem eine Ohrfeige an all jene, die geglaubt hatten, Apple könne 2006 dank dem anstehenden Generationenwechsel mit vielen innovativen Produkten für Furore sorgen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Apple sorgt derzeit für sehr viel Furore, nur leider nicht mit innovativen Produkten.
2005 hat Apple versprochen, dass sich mit dem Intel-Switch nicht viel ändere. Die Macs würden dank modernen Prozessoren deutlich schneller werden, ansonsten aber gleich bleiben. Leider hat Apple dieses Versprechen allzu wörtlich genommen. Bis auf die Intel-Chips bieten die neuen Macs keine Neuerungen - obwohl sie diese dringend nötig hätten.
Beispiel MacBook: Schon seit langem war es kein Geheimnis mehr, dass das altehrwürdige iBook G4 dringend von Grund auf überarbeitet werden müsste. Das Grundgerüst stammte noch immer aus dem Jahr 2001. Damals hatte Apple die ersten iBooks mit weissem Gehäuse und Combo-Drive auf den Markt geworfen. Dank regelmässigen Detailverbesserungen war Apple lange Zeit in der Lage, die Verkaufszahlen auf hohem Niveau zu halten, obwohl das technische Fundament allmählich zu bröckeln begann. Doch spätestens 2005 war der Zug für das iBook abgefahren. Ein Nachfolger musste her: Mit neuen Funktionen, besserer Ausstattung, mehr Power und natürlich mit einem neuen Design.
Nun ist der Nachfolger endlich da. Der Name ist neu, der Prozessor auch, der Preis ebenfalls. Ansonsten hat sich nichts verändert. Klar, einige zusätzliche Detailmodifikationen bietet das MacBook, beispielsweise ein neues Display, eine iSight oder zusätzliche Anschlüsse. Aber nichts, was in irgendeiner Weise innovativ oder aufregend wäre. Alle diese Neuerungen hätte Apple problemlos schon vor einem Jahr ins iBook G4 integrieren können. Diesen Neuerungen stehen allerdings auch einige Rückschritte gegenüber. Als erstes wäre da die Grafik. Ich weiss, dieses Thema wurde spätestens seit dem Intel-Mac-mini schon dutzende Male durchgekaut, dennoch bleibe ich dabei: Eine integrierte Grafik hat in einem 1’800-Franken-Notebook nichts zu suchen. Überall muss man lesen, dass die Grafik ohnehin zweitrangig wäre. Der typische iBook- respektive MacBook-User brauche sein Gerät zum surfen, mailen und um Briefe zu schreiben, Spieltauglichkeit sei Nebensache. Ich halte das für eine billige Ausrede. Ein Lifestyle-Notebook muss zwischendurch auch für das eine oder andere Game herhalten und in dieser Hinsicht macht das MacBook keine gute Figur. Zudem verstehe ich nicht, warum all diejenigen, die ihr MacBook angeblich nur für Arbeiten in Safari, Mail und Word benutzen, so scharf auf Core-Duo-Chips sind. Festzuhalten bleibt, dass die MacBook-Grafik einen Rückschritt darstellt, und zwar einen schmerzlichen. Ein weiterer Rückschritt bildet das Design. Verglichen mit dem iBook aus dem Jahre 2001 wirkt das fünf Jahre neuere MacBook ungleich klobiger. Viele wünschten sich ein deutlich dünneres Gehäuse und ein geringeres Gewicht, stattdessen muss man sich nun mit einem breiten Kunststoffbalken rund um das Display anfreunden. An die Eleganz vergangener Zeiten kommt das MacBook bei weitem nicht heran.
Meine Meinung über das MacBook ist gespalten. Prozessor hui, Rest pfui - oder allenfalls Mittelmass. Jedenfalls werde ich den Eindruck nicht los, dass Apple krampfhaft versucht, den Prozessor um jeden Preis in den Vordergrund zu stellen. Einem möglichst schnellen Prozessor opfert Apple nahezu die gesamte Ausstattung. Das ist lächerlich und erinnert an das peinliche Gigahertz-Wettrennen der PC-Industrie Ende der 90er-Jahre. Leidtragend ist schlussendlich der Anwender. Würde Apple statt eines 2-GHz-Chips die günstigere 1.83-GHz-Variante verwenden, läge dank der Preisdifferenz locker eine 128-MB-Grafik von ATI drin, was die Gesamtleistung deutlich steigern würde. Doch anscheinend lässt sich ein schneller Prozessor besser vermarkten als eine gute Gesamtleistung.
Derzeit bewirbt Apple die eigenen Produkte mit der sagenhaften Rechenleistung, welche die Geräte bieten sollen. Doch das MacBook scheint nur deshalb so schnell, weil das iBook G4 grottenlahm war. Sinnvoller wäre ein Vergleich mit aktuellen Konkurrenzprodukten. Und hier stehen Apples Notebooks - punkto Geschwindigkeit - genau gleich gut oder schlecht da wie jedes andere Notebook. Seit Apple Standard-Prozessoren verbaut, ist es völlig schwachsinnig und überflüssig, die Geschwindigkeit der Macs in den Vordergrund zu stellen, denn damit kann sich Apple nicht mehr von der Konkurrenz abheben.
In meinen Augen lässt das MacBook jegliche Innovation vermissen. Mir wäre es lieber, das MacBook würde durch pfiffige und durchdachte Funktionen und durch ein atemberaubendes Design auf sich aufmerksam machen als durch einen Prozessor, der ohnehin in jedem zweiten Notebook steckt. Der Intel-Switch bietet Apple die grossartige Chance, die ewigen Geschwindigkeitsdiskussionen der Vergangenheit angehören zu lassen und den Fokus auf die eigenen Stärken zu legen. Nämlich darauf, innovative Computer zu bauen, welche jedem Anwender ein Staunen entlocken. Weniger Megahertzwahnsinn und stattdessen mehr Think Different - so sollte die Devise lauten.
Die Ironie der Geschichte: Trotz allem ist auch das MacBook in einer Think-Different-Ausführung erhältlich. Nämlich in schwarzem Gehäuse, was dem MacBook ein sehr viel elegantes Erscheinen verleiht. Viele Anwender haben sich das schon lange gewünscht. Ein schwarzes MacBook bietet diese gewisse Extravaganz, welche man von einem Apple-Produkt erwartet. Der Haken dabei? Think Different gibt es bei Apple nur noch gegen Aufpreis. Satte 300 Franken extra kostet das schwarze Vergnügen, und das bei nahezu identischer Ausstattung! Stellt sich die Frage, ob diese Rechnung für Apple aufgeht. Die gleiche Masche hat Apple nämlich bereits einmal angewendet. Im Februar 2000 reagierte Apple auf die zahlreichen Kritiker, die sich damals nicht mit dem bunten iBook anfreunden konnten, und stellte das iBook SE vor. Dieses bot für einen Aufpreis von 400 Franken einen marginal schnelleren Prozessor und ansonsten lediglich eine elegantere Gehäusefarbe. Übrigens: Nach anfänglicher Euphorie fielen die Verkaufszahlen des iBook SE aufgrund des überrissenen Aufpreises schon bald in den Keller und Apple sah sich gezwungen, das iBook SE mit der nächsten Revision deutlich aufzuwerten, um die Verkäufe wieder ins Rollen zu bringen. Bleibt abzuwarten, ob Apple diese Lektion mit dem MacBook ein zweites Mal lernen muss.
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