«Steve Jobs» ist ein schwaches Portrait, aber grossartiges Kino
Filmbesprechung neuer Jobs-Film von Danny Boyle & Aaron Sorkin
Heute läuft der neue «Steve Jobs»-Film in den Deutschschweizer Kinos an. Der Film zeigt nicht Jobs zahlreiche Produkte und legendäre Innovationen, die ihn gleich mehrmals zum Weltveränderer machten, sondern porträtiert vor allem seine scheinbar undurchdringliche Persönlichkeit. Die Starbesetzung rund um Drehbuchautor Aaron Sorkin, Regisseur Danny Boyle und den Schauspieler-Talenten Michael Fassbender, Kate Winslet und Jeff Daniels ist eigentlich eine gute Voraussetzung für einen guten Film. Anlässlich der exklusiven macprime.ch-Vorpremiere vom Montag-Abend konnten wir dem Film bereits vor dem heutigen Kinostart auf den Zahl fühlen. Unsere Filmbesprechung.
Beziehungen, nicht Innovationen
Bereits zum Anfang des Filmes ist man sofort mitten im Geschehen, mitten in der sehr schnell und dicht erzählten Geschichte. Zwei Stunden lang wird man nahezu von Wörtern aus hitzigen und emotionalen Diskussionen und Streitgesprächen bombardiert. Einzig zum Schluss, soviel darf hier gesagt werden, nimmt die Geschichte (wenn auch nur leicht) an Geschwindigkeit ab und entschleunigt sich.
Die im Film gezeigte Geschichte spielt sich rund um drei wichtige Produkt-Lancierungen aus der Karriere von Steve Jobs (Michael Fassbender) ab: Der erste Macintosh 1984, 1988 der NeXT cube und der erste iMac 1998. Gezeigt werden jeweils die letzten Minuten, bevor die grosse Keynote-Show über die Bühne geht — nicht aber die Präsentationen an sich.
Der Fokus liegt nicht auf den Produkten selbst, sondern auf Jobses Persönlichkeit und den Beziehungen zu seinen engsten Mitarbeitern und Mitmenschen. Es sind dies vor allem Steve Wozniak (Seth Rogen), Andy Hertzfeld (Michael Stuhlbarg), John Sculley (Jeff Daniels) und Joanna Hoffman (Kate Winslet).
Da die Protagonisten jeweils nur Minuten vor den Keynotes «aufeinanderprallen», schwingt immerzu dieses «die Zeit läuft ab» mit, was dem ohnehin schnell geschnittenen und furios gescripteten Film noch mehr Drive verleiht.
Die ganze Handlung spielt bis auf wenige Ausnahmen ausschliesslich auf den Keynote-Bühnen und in deren Backstage-Bereichen. Diese Tatsache engt die Geschichte im Film auch räumlich ein.
Kate Winslet als Mac-Marketingchefin Joanna Hoffman ist der eigentliche rote Faden im Film — und im gezeigten Leben von Jobs. Sie balanciert den Portraitierten in den drei Akten von Begegnung zu Begegnung.
Die schwierige, undurchdringliche Persönlichkeit Jobs wird aber in keiner Auseinandersetzung wohl so elementar dargestellt, wie in den Begegnungen mit seiner ersten Tochter Lisa. Dies ist auch das Hauptthema des ganzen Filmes.
Jobs bestritt über viele Jahre hinweg — trotz positivem Vaterschaftstest — dass er Lisas Vater sei. Die (wahre) Geschichte gipfelt darin, dass Multi-Millionär Jobs sich immerzu sträubt, Lisas notorisch in Geldnöten befindliche Mutter Chrisann Brennan (Katherine Waterston) finanziell zu unterstützen.
Der Apple-Visionär wird insbesondere in diesen Sequenzen zuweilen als richtiges Arschloch gezeigt, der dann aber jeweils zu guter Letzt doch das Herz am richtigen Fleck zu haben scheint.
Der Film portraitiert auch sonst nicht nur die «negative» Seite des Apple-Mitbegründers, sondern zeigt auch den genialen Jobs, den Perfektionisten und Künstler, den Querdenker und Idealist, den Visionär.
Dabei sind die Szenen nicht alle nur ernst und «hart», sondern mitunter auch mal sehr lustig.
Kein eigentliches Biopic
«Steve Jobs» ist kein klassisches Biopic à la «Vom Barfus-Hippie zum genialen Milliardär». Die eigentliche Chronik der etwa 20 Jahre, die zwischen allen behandelten Ereignissen liegt, kommt nur über Umwegen in den Film. Gewechselt wird immer schlagartig. Von 1984 nach 1988 und von 1988 nach 1998. Sofort ist man in der neuen Szene und wird mit den neuen Gegebenheiten konfrontiert. Die Zeit dazwischen wird in der Folge nur nach und nach durch die Auseinandersetzungen zwischen Jobs und den anderen Figuren mittels kurzen, aber perfekt auf die schnellen Dialoge abgestimmten Flashbacks aufgerollt.
Technische Details, so merkt man schnell, stehen im Film nicht im Vordergrund. Technisches Knowhow benötigt man für die Geschichte nicht. Die vorkommenden Einzelheiten unterstreichen bloss Aaron Sorkins Charakterisierung des Apple-Visionärs.
Die Story des Filmes ist aber dennoch nicht ohne: Wer Steve Jobs Geschichte, und damit auch Apples Geschichte, nicht oder nur ganz entfernt kennt, dem dürften viele Anspielungen entgehen und die Handlungen könnten hie und da etwas schwer zu greifen sein.
Dennoch ist der Film alles andere als komplett. Beispielsweise wird Steve Jobs Frau Lauren Powell im Film genausowenig erwähnt wie die drei gemeinsamen Kinder. Auch die jüngeren wichtigen Produkte des Apple-Visionärs wie der iPod, das iPhone und das iPad — und auch viele andere — kommen nicht vor im Film. Gleiches gilt für Steve Jobs «andere» Firma, das innovative und äusserst erfolgreiche Filmstudio PIXAR.
Der Film bildet tatsächlich nur drei eigentlich kurze Sequenzen der fast 40 jährigen Karriere von Steve Jobs ab.
Starke Leistungen
Wer Sorkins bisherige Werke kennt, der darf zurecht etwas skeptisch sein, wenn einem mit «Steve Jobs» eine zweistündige Wörterschlacht versprochen wird. In Sorkins bisherigen Arbeiten sind nicht wenige der wortgewaltigen schnellen Szenen etwas überstrapaziert und wirken deshalb ermüdend. Mit «Steve Jobs» hingegen ist Sorkin ein echtes Meisterstück gelungen. Die Dialoge sind scharf, komplex und meist schneller, als man sie überhaupt richtig verarbeiten kann. Der Film ist vollgepackt mit extremen Dialogen, ohne dass diese aber kitschig wirken oder der Film zu langweilen beginnt. Ganz im Gegenteil. Denn auch von der intensiven Schauspieler-Qualität, die die Hauptbesetzung des Films rund um Michael Fassbender, Kate Winslet und Jeff Daniels an den Tag legen, will man schier nicht genug bekommen.
Fassbender, der dem polarisierenden Jobs zwar visuell überhaupt nicht gleicht, legt eine verblüffende Leistung hin. Winslet übertrifft sich schlicht selbst mit einer absolut grandiosen schauspielerischen Meisterleistung. Eingefangen hat diese Kunststücke virtuos Boyle, welcher sich dabei auch nicht vor Experimenten scheute. Nicht zuletzt ist der Film auch exzellent geschnitten.
Ein schönes Detail, welches wohl auch Steve Jobs selber sehr gefallen hätte, ist die von Boyle eingesetzte Film-Technik. Für die drei Akte um 1984, 1988 und 1989 setzte Boyle im Film die jeweils zu diesem Zeitpunkt aktuellen Film- und Kamera-Technologien ein. So sind die Szenen aus den früheren 1980er-Jahren noch körnig, während die Bilder aus 1998 im scharfem Digital-Film erscheinen.
Problematisch weit weg von der Realität
Nicht ganz unproblematisch ist die Tatsache, dass sich die Film-Verantwortlichen bei «Steve Jobs» sehr viele Freiheiten erlaubt haben.
Tatsächlich weicht der Film fast überall von der Wirklichkeit ab. Die im Film gezeigten Streitgespräche kurz vor den Produkt-Lancierungen haben so — und aber grösstenteils auch andernorts — nie stattgefunden. Für den Film selbst ist das nicht weiter problematisch, denn ein Film soll in erster Linie unterhalten und nicht eine Realität möglichst genau abbilden. «Künstlerische Freiheit» — dies gilt insbesondere für einen Spielfilm aus Hollywood.
Problematisch wird es aber, wenn Fiktion als Fakt verkauft und vom Publikum dahingehend so verstanden wird. Der neue Jobs-Film baut auf echten Menschen auf und nutzt bekannte Namen um eine grösstenteils erfundene und überspitzte Geschichte zu erzählen.
Tatsächlich ist die Hauptperson, die im Film porträtiert wird, nur entfernt der echte Steve Jobs.
Apple-CEO Tim Cook verpönte den Film mitunter deshalb jüngst als «gesinnungslos».
Fazit
Geschichtlich darf der Film also nicht all zu genau genommen werden. Nach Hollywoods Gesetzen muss er das aber auch nicht.
Trotz der zum Teil harschen Kritik an der gezeigten Geschichte, kommen alle verkörperten Protagonisten mit einer fast weisen Weste davon. Die Charakteren werden nicht verschmäht, sondern doch respektvoll porträtiert.
Der Film ist eine Aneinanderreihung vieler Momentaufnahmen, die den Apple-Visionär ergründen wollen, ihn aber trotzdem nicht gänzlich in all seinen Facetten und Eigenheiten auffassen können. Das scheint aber auch nicht das Ziel des Filmes gewesen zu sein — und muss dies auch nicht. Jobs erstaunliche Karriere und seine sagenumwobene Persönlichkeit fänden sowieso nie in der Spielzeit eines einzigen Kinofilms Platz. Und Hollywood interpretiert Geschichte sowieso eigensinnig. Es wird mit grosser Wahrscheinlich auch in Zukunft noch weitere solche Filme und insbesondere auch noch weitere Dokumentarfilme und Bücher geben, die versuchen, das Wesen des Apple-Visionärs zu ergründen und erklären.
Dass man es beim Film mit der wahren Geschichte nicht so ernst nahm, ist nicht unbedenklich, aber (leider) «halt Hollywood». Besser wohl, man hätte den Film-Titel, die Protagonisten und alle sonstigen Namen ebenfalls etwas Erfundenem angelehnt und umgetauft.
«Steve Jobs» ist in erster Linie aber grossartiges Kino mit exzellenten schauspielerischen Leistungen und einem beeindruckenden Skript. Definitiv ein Film-Tipp unsererseits.
«Steve Jobs» (Universal) läuft ab heute in den Deutschschweizer Kinos
macprime.ch-Vorpremiere
Am Montag-Abend durften wir den neuen «Steve Jobs»-Film bereits vorab in einem kleinen-aber-feinen Kino im Zürich-Seefeld zeigen. Mit grosszügiger Unterstützung von Universal Pictures International Switzerland gab es eine exklusive macprime.ch-Vorpremiere für 30 glückliche Wettbewerb-Gewinner.
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