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Quo vadis Mac-Finder?
Ein kleiner Schritt nach vorne, ein grosser Schritt zurück
Seit rund sechs Wochen ist Leopard nun erhältlich. Bereits arbeiten Millionen von Mac-Usern mit dem neusten Betriebssystem aus dem Hause Apple. In den Medien, auf den Mac-Portalen und in Internetforen wird heftig über die Stärken und Schwächen des Leoparden debattiert. Die meisten dieser Diskussionen werden von einem einzigen Thema dominiert: Dem Finder. Fragt man einen Leopard-User, welche System-Komponente mit Leopard am stärksten verbessert wurde, lautet die Antwort fast immer «der Finder». Dreht man den Satz um und fragt nach der grössten Schwachstelle in Leopard, erhält man in den allermeisten Fällen dieselbe Antwort: «Der Finder». Wie lässt sich dieser scheinbare Widerspruch erklären? Weshalb ist der Finder bei Mac-Usern derart unbeliebt und umstritten?
Spätestens seit der Einführung von Mac OS X ist der Finder der Kritikpunkt Nummer eins am Mac-System. Die Kritik der Anwender am Finder lässt sich grob in zwei Kategorien unterteilen: Kritik am Konzept des Finders und Kritik an der technischen Umsetzung.
Zu Beginn möchte ich mein Augenmerk auf den zweiten Punkt richten. Unabhängig davon, ob man Mac OS X und den Finder mag, konnte lange Zeit niemand abstreiten, dass der Finder in vieler Hinsicht einfach schlecht war. Dies gilt für den Finder aus Tiger in gleichem Masse wie für den allerersten OS-X-Finder. Dem Finder fehlten grundlegende Funktionen, er stürzte regelmässig ab und nicht zuletzt bot er eine katastrophale Performance. Der Finder war nicht nur schlecht, er wurde auch kaum verbessert. Viele Anwender mögen sich gefragt haben, ob sich Apples OS-X-Team überhaupt noch um den Finder kümmerte.
Mit Leopard hat sich die Situation nun schlagartig verändert. Der Leopard-Finder wurde komplett neu geschrieben. Ein grosser Teil der Stabilitäts- und Performanceprobleme gehören damit der Vergangenheit an. Gleichzeitig profitieren die User von neuen Funktionen wie Quick Look und CoverFlow.
Sind die Probleme mit dem Finder nun endgültig aus der Welt geschafft? Die Antwort lautet nein. Mein persönliches Fazit fällt ziemlich brutal aus: Der Leopard-Finder enttäuscht auf ganzer Linie. Die Verbesserungen sind zwar offensichtlich, die grundlegenden Probleme des Finders konnte Apple aber nicht beheben. Mit dem Leopard-Finder zu arbeiten ist mühsam und frustrierend. Und wie meine Einleitung zeigt, stehe ich mit dieser Einschätzung nicht alleine da. Der Grund dafür liegt allerdings nicht in den technischen Problemen, sondern im grundlegenden Bedienkonzept, welches Apple mit dem Mac-OS-X-Finder verfolgt. Um den Hintergrund dieser Probleme zu erläutern, möchte ich einen kurzen Überblick über den Werdegang des Finders abgeben.
Der Finder ist das wohl einzige Programm, welches die gesamte Geschichte des Macintoshs überdauert hat. Ursprünglich war der Finder die wichtigste Softwarekomponente des Mac-Systems. Er bildete die Schnittstelle zwischen Mensch und Computer - jene Schnittstelle, mit der Apple 1984 die Computerwelt revolutionierte. Als in der Folge die halbe Welt von der Benutzerfreundlichkeit des Macs sprach, meinte man eigentlich immer den Finder. Der Finder war das, was der Anwender vom Mac-System sah. Er war das Kronjuwel der Mac-Software und wohl eine der bedeutendsten Erfindungen Apples.
Die Errungenschaft des Macintoshs war es, die komplexe Computertechnologie in eine Form zu bringen, die der Mensch intuitiv verstand. Jedermann sollte einen Macintosh bedienen können, ohne mit der dahinter stehenden Computertechnologie in Berührung zu kommen.
Steve Jobs sagte einmal:
«Wenn Computer so schlau sind, wäre es dann nicht sinnvoller, den Computern etwas über den Menschen beizubringen, statt den Menschen den Umgang mit Computern zu lehren?»
Genau diese Idee hat Apple mit dem Macintosh, und insbesondere mit dem Finder, in die Realität umgesetzt. Natürlich war der Finder nicht die einzige wichtige Neuerung des Macintoshs. Auch die grafische Oberfläche und die Maussteuerung waren enorm wichtig. Doch letztlich war es der Finder, der während eineinhalb Jahrzehnten den Hauptunterschied zwischen Macs und PCs ausmachte. Auch als die grafische Oberfläche längst plattformübergreifend etabliert war, besass das Mac OS mit dem Finder noch ein ganz zentrales Alleinstellungsmerkmal.
Mit dem Finder erfand Apple zwei revolutionäre Konzepte, welche die gesamte Philosophie des Mac-Systems zusammenfassen:
Das erste Konzept ist die Schreibtischmetapher. Apple gestaltete die Benutzeroberfläche des Macs als Schreibtisch und stattete diesen mit alltäglichen Symbolen aus. Bekannte Beispiele sind die Ablage oder der Papierkorb. Die Idee, die Computeroberfläche als Schreibtisch zu gestalten, wurde später von Microsoft übernommen und ist auch heute noch Bestandteil der OS-X-Oberfläche, auch wenn sie unterdessen nicht mehr den gleichen Sinn ergibt.
Vielleicht noch wichtiger als die Schreibtischmetapher war das zweite neue Konzept des Finders: Apple fand einen Weg, den Umgang mit abstrakten Computerdaten auf eine verständliche Weise darzustellen. Aus Daten wurden Dokumente. Jedes Dokument erhielt ein Gesicht in Form eines Icons. Dokumente liessen sich behandeln wie reale Objekte, man konnte sie bearbeiten, sortieren, verschieben und verwalten. Es gab Ordner, die man auf seinem Schreibtisch ablegen konnte.
Weshalb erkläre ich das alles und was hat nun der Finder damit zu tun? Der Finder ist so wichtig, weil die konsequente Umsetzung dieser Konzepte nur durch den Finder ermöglicht wurde. Apples Weg sah so aus, dass jeder Ordner durch ein Finder-Fenster repräsentiert wurde. In den Augen des Anwenders gab es keinen Unterschied zwischen einem Ordner und dessen Fenster, genauso wie es keinen Unterschied zwischen einem Dokument und dem zugehörigen Icon gab.
Apple überarbeitete den Finder bis Mac OS 9 fortlaufend, hielt an diesem Konzept aber konsequent fest.
Und dann erschien Mac OS X. Damit begannen die Probleme. Mac OS X war ein komplett neues System, es war nur logisch, dass Apple auch einen neuen Finder entwickelte. Der Mac-OS-X-Finder brach mit den alten Konventionen und erinnert eher an den Windows Explorer oder den Dateimanager aus NextStep als an den klassischen Finder.
In meinen Augen beinhaltet der Finder unter Mac OS X einige grundlegende Schwachpunkte. Diese hängen fast alle damit zusammen, dass Apple sein ursprüngliches Fensterkonzept aufgegeben hat. Anstatt jeden Ordner durch ein individuelles Fenster mit individuellem Aussehen darzustellen, stellt der Mac-OS-X-Finder mehrere Ordner gleichzeitig in einem einzigen Fenster dar. Und damit orientiert sich der Finder nicht mehr an den Bedürfnissen der Anwender, sondern an den Datenstrukturen des Computers.
Immer wieder stelle ich fest, dass unerfahrene Anwender - damit meine ich nicht nur absolute Anfänger - im Finder von OS X ständig die Orientierung verlieren. Den Finder kann man nämlich nur dann bedienen, wenn man die Pfade aller seiner Dokumente auswendig weiss. Und das ist schwierig, sehr schwierig sogar. Unter OS 9 hingegen brauchte man nicht einmal zu wissen, dass es so etwas wie Dateipfade überhaupt gibt. Anstatt an abstrakten Pfaden orientierte man sich an Fenstern, wobei jedes Fenster ein bestimmtes Aussehen und eine bestimmte Position besass. Ein Fenster entsprach einem realen, natürlichen Objekt und liess sich leicht einprägen. Um sich zu orientieren war überhaupt keine Gedächtnisleistung erforderlich, man hangelte sich völlig automatisch von Fenster zu Fenster.
Diese Orientierungsweise funktioniert im heutigen Finder leider nicht mehr. Man benötigt jederzeit die volle Konzentration, um sich zurechtzufinden und man muss sich die Dateihierarchie des Computers ständig von neuem ins Bewusstsein rufen, um im Finder navigieren zu können. Und das ist nicht nur für unerfahrene Anwender schwierig. Egal wie gut man sich mit Computern auskennt, die Logik des Finders ist mit der Logik des Menschen nicht kompatibel. Ein Beispiel: Man erstelle auf dem Schreibtisch einen neuen, leeren Ordner und öffne diesen in der Symbolansicht. Anschliessend öffnet man per Doppelklick auf das Festplatten-Icon ein zweites Finder-Fenster in der Listenansicht und navigiert darin in den neuen Ordner, der auf dem Schreibtisch abgelegt ist. Man hat dann also zwei Fenster mit unterschiedlicher Position, Grösse und Ansicht, die beide ein und denselben Ordner darstellen. Nun schliesst man beide Fenster. Was wird wohl passieren, wenn man nun den neuen Ordner ein weiteres Mal öffnet? Die Antwort ist simpel: Man weiss es nicht. Egal wie sich der Finder dann verhält, es wird keine erkennbare Logik dahinter stecken. Damit haben wir den Kern des Problems gefunden. Das grundlegendste Kriterium für die Benutzerfreundlichkeit eines Programms ist es, dass der Anwender die Vorgänge, die das Programm ausführt, vorhersehen und nachvollziehen kann. Wenn beim Doppelklick auf einen Ordner auf dem Schreibtisch jedes Mal etwas anderes passiert, dann kann von Benutzerfreundlichkeit ebenso wenig die Rede sein wie von produktiver Arbeit im Finder.
Wie eingangs erwähnt, hat Apple einiges unternommen, um den Leopard-Finder massiv zu verbessern. So merkt sich nun der Finder Aussehen und Position einzelner Fenster zuverlässig, zudem lässt sich einstellen, dass Ordner stets in neuen Fenstern geöffnet werden sollen.
Wie das Beispiel vorhin allerdings gezeigt hat, helfen diese Verbesserungen in der Praxis jedoch kein bisschen, da der Finder selbst bei ganz einfachen Operationen versagt. Schlussendlich sind genau diese Versagensfälle die Ursache für die Unzufriedenheit der Anwender. Dass der Finder selbst bei einfachen Aufgaben ständig auf unerwartete Art und Weise reagiert, ist extrem frustrierend.
Ich persönlich bin überzeugt, dass Apple genau weiss, wo die Probleme des Finders liegen. Mit Mac OS X hat Apple den Versuch gestartet, den Finder grundlegend zu verändern, und ist damit auf die Nase gefallen. Dass Apple in der Entwicklung des Finders anschliessend jahrelang keinen Fuss vor den andern brachte, lässt sich nur mit purer Ratlosigkeit erklären. Es gab keinen Weg nach vorne, doch zurück wollte man auch nicht - Apple steckte in der Sackgasse. Im überarbeiteten Finder von Leopard sehe ich einen verzweifelten Versuch, dem Finder-Konzept von OS X doch noch zum Durchbruch zu verhelfen. Mit diesem Vorhaben ist Apple auf ganzer Linie gescheitert.
Der Leopard-Finder beherrscht zwei grundlegend verschiedene Fenstermodi und vier verschiedene Ansichten - insgesamt ein einziges Chaos.
Bestes Beispiel für die hoffnungslose Situation ist CoverFlow. Mit Pauken und Trompeten eingeführt, letztlich aber absolut unbrauchbar für die Arbeit im Finder. Nie war es mühsamer, durch Ordnerstrukturen zu navigieren, als mit CoverFlow. CoverFlow sieht hübsch aus und mag in Ausnahmesituationen praktisch sein, im alltäglichen Umgang mit dem Finder ist es aber einfach nur nervtötend langsam und unübersichtlich. Mit solchem Schnickschnack wird der Finder nicht besser.
Es gibt unzählige Möglichkeiten, wie sich der Finder verbessern liesse. Fest steht, dass die Anwender mit dem OS-X-Finder nicht glücklich sind. Der Schritt, die klassische Ordnerdarstellung fallen zu lassen, brachte fast nur Nachteile. Mit dem halbherzigen Versuch, dem Leopard-Finder einige Merkmale des Fensterverhaltens des OS-9-Finders wieder beizubringen, wird Apple nichts ausrichten können. Der Mac-Finder besitzt keine wesentlichen Vorteile mehr gegenüber seinen Pendants unter anderen Betriebssystemen.
Apple muss tiefer ansetzen und fundamentale Charakteristiken des Finders ändern. Es sollte Apple zu denken geben, dass die Unzufriedenheit der Anwender trotz der Vielzahl an technischen Verbesserungen am Leopard-Finder nicht nachgelassen hat. Apple nennt den Finder voller Stolz den «innovativen Macintosh-Schreibtisch», diesem Ruf wird der Finder leider in keiner Weise gerecht. Apples Verhalten in der Finder-Frage während den letzten Jahren zeugt vom Verlust jeglicher Vision, wie der Finder aussehen sollte. Was bleibt, ist eine schwache Spur der Hoffnung, dass Apple den Mut doch noch aufbringt, den aktuellen Finder in die Tonne zu treten und mit einem weissen Blatt Papier nochmals von vorne zu beginnen.
24 Kommentare
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