Mac OS X Lion: Was ist gut, was ist schlecht?
Eine Million Mac-User haben sich den Löwen am ersten Verkaufstag auf ihren Mac gezogen. Viele weitere dürften in den nächsten Tagen und Wochen folgen. Noch nie war es so einfach, ein neues Betriebssystem zu installieren. Doch lohnt sich der Umstieg auf OS X Lion wirklich oder kann man getrost noch ein Weilchen auf den Schneeleoparden vertrauen? Anstatt in Form eines klassischen Reviews präsentiere ich meine Eindrücke von OS X Lion für einmal in einer übersichtlichen Liste, eingeteilt in Punkte, die mir in Lion besonders gut respektive nur schlecht gefallen. Zwar konnte ich schon mit der Entwicklerversion von Lion erste Erfahrungen sammeln, doch viele Qualitäten eines Betriebssystems sieht man meiner Meinung nach erst nach seiner Veröffentlichung. Es ist klar, dass zwei Tage nicht ausreichen, um eine derart komplexe Software abschliessend zu beurteilen. Deshalb möchte ich betonen, dass die folgenden Punkte eher einem ersten Eindruck als einer ernsthaften Bewertung gleichkommen und dass die Liste keineswegs vollständig ist, sondern lediglich als Diskussionsanstoss dienen soll.
Das ist gut gelungen in OS X Lion:
Mac App Store: Rund um den Mac App Store wurde in den letzten Monaten viel Polemik betrieben. Wie kann man über den Mac App Store Unternehmenslizenzen beziehen? Was passiert, wenn man seinen Mac neu aufsetzen möchte und keine DVD mehr zur Hand hat? Und wie will man an Lion kommen, wenn man keine Breitbandinternetverbindung zur Verfügung hat? Eines vorneweg: Für all diese Probleme hat Apple Lösungen parat. Doch viel wichtiger ist: Die allermeisten Anwender werden kaum je mit einem dieser Probleme konfrontiert werden. Deshalb ist der Vertrieb von Lion über den Mac App Store in meinen Augen eine wunderbare Sache. Der Vertriebsweg mag für viele ungewohnt sein, doch in erster Linie ist er ungewohnt einfach und unkompliziert. Man braucht keinerlei Einstellungen vorzunehmen, die Installation geschieht wie von Zauberhand. Und der Preis: läppische 29.- Franken. Die Lizenz gilt für beliebig viele Macs und darf sogar für Virtualisierungen verwendet werden.
Mission Control: In dieses Feature habe ich mich vom ersten Augenblick an verliebt. Sieht man einmal vom doch eher gewöhnungsbedürftigen Namen ab - Exposé klang zweifellos stilvoller - so liefert Mission Control genau das, was Cupertino verspricht. Mit einer einfacher Geste erhält man einen Überblick über sämtliche Fenster, Spaces und Vollbildapps. Die grösste Stärke von Mission Control liegt in seiner Einfachheit und Ordnung. Die Fenster sind anders als beim klassischen Exposé nach Programmen geordnet, trotzdem findet man jedes Fenster auf den ersten Blick. Vor allem aber hat Apple einen Weg gefunden, Spaces in Exposé zu integrieren.
In der Vergangenheit hatte ich mich nie mit der Spaces-Funktion anfreunden können. Man musste Spaces stets manuell in den Untiefen der Systemeinstellungen konfigurieren und besass keinerlei Möglichkeit, sich eine nützliche Übersicht über alle Spaces anzeigen zu lassen. Spaces sollte Ordnung liefern und war gleichzeitig furchtbar kompliziert. In meinen Augen war das ein Widerspruch in sich. Da gefiel mir Exposé schon wesentlich besser. Doch in Kombination erst mit Spaces und später mit dem zusätzlichen Dock-Exposé büsste die Funktion doch erheblich an Einfachheit ein.
In meinen Augen ist Mission Control ein Eingeständnis an die nach wie vor beträchtliche Komplexität heutiger Desktop-Betriebssysteme - Auch wenn Apples Vergleich von Lion mit iOS Anderes suggeriert, ist die Bedienung von OS X durch Lion nicht grundlegend einfacher geworden und benötigt, im Gegensatz zu erwähntem iOS, weiterhin einiges an Einarbeitungszeit. Es gibt Vollbildapps, es gibt Spaces, es gibt Dashboard, es gibt den Desktop und dann noch alle anderen Programme mit ihren Fenstern. Dank Mission Control sieht man all diese Elemente in einer einzigen Übersicht vereinigt, besser hätte man Übersichtlichkeit und Einfachheit nicht verbinden können.
Vollbildmodus: Full-Screen-Apps sind ein weiterer Punkt, mit dem Apple die Benutzerfreundlichkeit von OS X verbessern möchte. Die Möglichkeit, Programme in einer Vollbildansicht darzustellen, kennt man bereits aus diversen Programmen und natürlich aus Microsoft Windows. Apple hat sich lange dagegen gesträubt, eine solche Möglichkeit systemweit ins Mac OS zu integrieren. Full-Screen-Apps passen nicht in die klassische Fenster-Metapher der Macintosh-Oberfläche. Nur schert sich heute ohnehin niemand mehr um diese klassischen Bedienkonzepte. Aus Anwendersicht ist entscheidend, dass sich der Computer möglichst komfortabel und mit möglichst geringem Lernaufwand bedienen lässt. Dabei können Full-Screen-Apps durchaus einen Beitrag leisten. Das iPhone und das iPad mit ihrer fensterlosen Oberfläche haben gezeigt, dass die Vollbilddarstellung von Programmen in vielen Situationen ausgezeichnet funktioniert. Es ist nichts anderes als logisch, dass nun auch der Mac in den Genuss einer systemweiten (betrifft nur Programme, welche explizit davon Gebrauch machen) Full-Screen-Unterstützung kommt.
Apple hat einen äusserst eleganten Weg gefunden, Full-Screen-Apps in die Mac-Oberfläche zu integrieren, indem jede Vollbildapp wie ein eigener Space behandelt wird. Dank Mission Control gestaltet sich die Navigation zwischen den einzelnen Apps übersichtlich und komfortabel. Die Gestensteuerung, mit der man zwischen den einzelnen Vollbildapps hin- und herwischen kann, hat man schon nach wenigen Sekunden verinnerlicht. Full-Screen-Apps klingen nicht sonderlich spannend, bieten dank der exzellenten Umsetzung in Lion aber einen grossen Mehrwert.
Mail: Von allen Apps ist Mail vermutlich diejenige, welche am meisten von Apples Back-to-the-Mac-Strategie profitiert hat. Mail 5 in Lion besitzt ein neues Layout, welches in seinen Grundzügen vom iPad übernommen wurde. Ausserdem hat Apple die Darstellung von Mail-Konversationen erheblich aufgepeppt. Zusammen mit der neu integrierten Full-Screen-Ansicht beschert einem Mail in Lion ein völlig neues Anwendungserlebnis, ohne dass das Programm an Leistungsfähigkeit eingebüsst hatte. Mail ist für mich ein Paradebeispiel dafür, wie sich selbst bewährte OS-X-Apps durch an sich rein oberflächliche Änderungen massiv verbessern lassen. Wer einmal mit dem neuen Mail-Layout unter Lion gearbeitet hat, möchte mit Sicherheit nie mehr zur alten Ansicht zurückkehren.
AirDrop: Zu AirDrop lassen sich nicht viele Worte verlieren. AirDrop ermöglicht das Austauschen von Dateien zwischen mehreren Macs ohne jeglichen Konfigurationsaufwand. It just works!
QuickTime Player: Still und heimlich hat Apple zahlreiche derjenigen Features wieder in den QuickTime-Player integriert, welche viele Anwender nach dem Erscheinen von QuickTime X in Snow Leopard vermisst hatten. Wer auf die Schnelle einzelne Clips eines Videos schneiden, ein Video drehen oder exportieren möchte, erhält mit dem QuickTime Player in Lion wieder die benötigten Werkzeuge.
Auto Save & Versions: Versions, zusammen mit Auto Save, ist die vermutlich spektakulärste Neuerung in Lion. Die Idee, dass Dokumente automatisch gespeichert werden, ist eines der aus iOS übernommenen Features. Auf den ersten Blick mag die automatische Speicherung wenig spektakulär klingen, doch zusammen mit Resume wird dadurch der Zugriff aufs Dateisystem - oder mit anderen Worten: der Finder - nahezu überflüssig.
Apple verabschiedet sich damit von der Vorstellung, dass sich der Anwender darum zu kümmern hat, wo und wie er welche Daten ablegt. Wer unter Lion beispielsweise ein Pages-Dokument öffnet und bearbeitet, findet im Ablage-Menü keinen «Sichern»-Befehl mehr. Lion speichert das Dokument automatisch und öffnet es auf Wunsch auch automatisch wieder, sobald Pages das nächste Mal gestartet wird. Dass man sich als Anwender keinerlei Gedanken mehr darüber machen muss, seine Daten zu speichern, ist ein fundamentaler Paradigmenwechsel im Bereich der Desktop-Betriebssysteme.
Lion mag lediglich einen ersten Schritt in dieser Entwicklung darstellen, aber die Entwicklung an sich kann kaum bedeutungsvoll genug eingeschätzt werden. Denn Apple hat nicht einfach nur eine automatische Speicherungsfunktion ins System integriert, sondern ist noch einen Schritt weitergegangen. Im Grunde genommen gab es ja schon in der Vergangenheit unzählige Programme, welche über «Auto Save»-Funktionen verfügten. Microsoft Office beispielsweise oder auch TextEdit können nach einem Programmabsturz die geöffneten Dokumente ohne Probleme wiederherstellen. Doch dieser herkömmliche Ansatz besitzt den Nachteil, dass man seine Dokumente trotzdem noch manuell sichern muss. Denn woher soll ein Programm wissen, zu welchem Zeitpunkt ein Dokument gespeichert werden soll? Genau diese Problematik hat Apple mit Versions gelöst. Lion speichert nicht einfach nur einzelne Dokumente, sondern Dokumente mitsamt ihrer kompletten Versionsgeschichte. Wenn das System ein Dokument speichert, dann wird lediglich eine neue Version abgelegt, ohne dass die älteren Zustände verloren gingen. Mit wenigen Handgriffen lassen sich Elemente wie Text oder Bilder aus verschiedenen Versionen ein und desselben Dokumentes zusammenfügen. Die Leichtigkeit, mit der Lion solch komplexe Dateioperationen beherrscht, ist wahrlich beeindruckend.
Die kleinen Dinge: Häufig sind es kleine Änderungen an einer Software, die im Alltag die grösste Arbeitserleichterung bringen. Auch Lion besitzt unzählige kleine Detailverbesserungen, welche von Apple nur am Rande erwähnt werden.
Im Finder fiel mir insbesondere die Ordner-Merging-Funktion auf, welche das Zusammenführen zweier Ordner erleichtert. Das Fehlen einer solchen Funktion wurde in der Vergangenheit unzählige Male bemängelt, nun hat sich Apple offenbar endlich ein Herz gefasst. Ähnliches gilt für die Möglichkeit, die Fenstergrösse von allen Seitenrändern aus ändern zu können. Hübsch ist auch die Möglichkeit, mit einem Doppeltap mit drei Fingern auf dem Trackpad ein beliebiges Wort im Wörterbuch nachzuschlagen. Und wer einen Text vorgelesen haben möchte, kann seit Lion endlich auf brauchbare deutsche VoiceOver-Stimmen zurückgreifen. Ein letztes Highlight in meiner Aufzählung bildet die automatische Dateivorschau im Spotlight-Menü.
Das ist schlecht gelungen in OS X Lion:
Rechtschreibkorrektur: Nicht immer stellen die angesprochenen kleinen Dinge automatisch eine Verbesserung dar. Im Falle der Rechtschreibkorrektur ist das pure Gegenteil der Fall. Wirklich brauchbar war die deutsche Rechtschreibkorrektur aus OS X noch nie, deshalb ist das einzig Gute an der aus iOS übernommenen und ziemlich aufdringlich erscheinenden Autokorrektur die Möglichkeit, sie auszuschalten.
iCal und Adressbuch: Kein glückliches Händchen hat Apple bei der Gestaltung der Programmoberflächen von iCal und dem Adressbuch bewiesen. Nachdem Cupertino noch bei Leopard und Snow Leopard grossmundig vom «unified window look» sprach, scheint sich Apple bereits bei Lion nicht mehr um die entsprechenden Richtlinien zu scheren. Hinter der Idee, das Adressbuch wie ein echtes Adressbuch aussehen zu lassen, steckt für mich kein einziger ersichtlicher Vorteil. Ganz im Gegenteil, es ist äusserst umständlich, herauszufinden, wie man beispielsweise im Adressbuch umblättert. Ausserdem ist es doch gerade die Stärke eines digitalen Adressbuches oder Kalenders, dass man nicht an das starre Layout einer herkömmlichen Agenda aus Leder und Papier gebunden ist. Diese beiden Programme zeigen jedenfalls deutlich auf, dass nicht jede vom iPad übernommene Idee auch auf dem Mac funktioniert.
Launchpad: Der grösste Murks in Lion bildet meiner Meinung nach das Launchpad. Hier werde ich den Eindruck nicht los, dass Apple krampfhaft versucht hat, iOS-Features ins Mac OS zu integrieren, ohne den Nutzen zu hinterfragen. OS X bietet auch ohne Launchpad unzählige Möglichkeiten für den schnellen Zugriff auf Programme. Beispielsweise das Dock - mit dem standardmässig ohnehin schon integrierten Programme-Ordner - oder Spotlight. Das Launchpad präsentiert sich schon bei der Frage, welche Programme überhaupt angezeigt werden, ziemlich wählerisch. Das Ordnen von Programmen im Launchpad ist ebenfalls eine Katastrophe. Nichts kann davon ablenken, dass das Launchpad letztlich eine Kopie des iOS-Homescreens darstellt, welcher für eine fingergesteuerte (und nicht eine mausgesteuerte) Benutzeroberfläche entworfen wurde.
Selbst wenn man über diese Unzulänglichkeiten hinwegsieht, bringt das Launchpad einfach keinen Mehrwert. Anders als der Homescreen auf dem iPhone muss das Launchpad auf dem Mac jedes Mal umständlich aufgerufen werden. Die Multitouchgeste für das Launchpad ist ein schlechter Witz und wenn man ohnehin den Weg übers Dock nimmt, braucht man auch kein Launchpad mehr.
Was sind eure ersten Erfahrungen mit OS X Lion? Wo vermag Lion zu überzeugen und bei welchen Punkten muss Apple noch nachbessern?
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44 Kommentare
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Kommentar von bst
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Kommentar von schn0rkel
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