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Mac OS X Leopard: Eine erste Analyse und Bewertung

Einige Tage sind bereits vergangen, seit Apple im Rahmen der WWDC 2006 den Schleier um Leopard zumindest stückweise gelüftet hat. Zeit genug also, um die Ankündigungen gründlich zu verdauen, so dass wir nun aus einiger Entfernung eine erste Analyse wagen können. Wie gut ist Leopard wirklich?

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Leopard ist die sechste Fassung von Mac OS X und folgt auf Cheetah (März 2001), Puma (September 2001), Jaguar (August 2002), Panther (Oktober 2003) und Tiger (April 2005). Seit der Veröffentlichung von Tiger sind nun bereits rund 15 Monate vergangen, bis zum Release von Leopard im Frühjahr 2007 dürften weitere 8-9 Monate ins Land ziehen. Damit sind wir bereits bei einem wichtigen Punkt, den wir bei der Bewertung von Leopard berücksichtigen müssen. Apple hat seine Ankündigung wahr gemacht und den Update-Zyklus von ursprünglich rund einem Jahr auf zwei Jahre verdoppelt. Diese Entwicklung ist grundsätzlich zu begrüssen. Allerdings muss sich die längere Entwicklungszeit auch in einem grösseren Technologie- und Featuresprung manifestieren. Panther und Tiger wurden der Öffentlichkeit jeweils bereits ein erstes Mal vorgestellt, als die Vorversion erst acht bis neun Monate alt war. Bei Leopard genehmigte sich Apple mehr als 15 Monate, bis die Katze aus dem Sack gelassen wurde. Ist der Sprung von Tiger auf Leopard nun grösser als derjenige von Jaguar auf Panther oder von Panther auf Tiger?

Werfen wir einen Blick auf die ersten Reaktionen aus dem Kreise der Apple-Anwender. Bei den Vorstellungen der ersten Major-Updates für OS X verfielen jeweils grosse Teile der Mac-Community beinahe in Ekstase. Bei der Vorstellung von Leopard blieben die Mac-User hingegen erstaunlich ruhig. Man ist zufrieden im Mac-Lager, aber nicht euphorisch. Einerseits liegt das sicher daran, dass die Mac-Gemeinde mit Tiger bereits hoch zufrieden ist und die sich Notwendigkeit von Überarbeitungen am System in Grenzen hält. Auch das Versprechen von Steve Jobs, einige Top-Secret-Features erst später zu enthüllen, dürfte sich auf die Stimmung der Mac-Fans ausgewirkt haben - viele wollen mit einer Bewertung von Leopard noch zuwarten. Andererseits rührt die fehlende Begeisterung auch schlicht daher, dass Apple bei der Vorstellung von Leopard mehr Produktkosmetik als Technologiedurchbrüche vorzuzeigen hatte - was keineswegs negativ sein muss.

Aus der WWDC-Keynote kennen wir zehn grosse Neuerungen von Leopard. Dies sind im Einzelnen: 64-Bit-Unterstützung, die Backupfunktion «Time Machine», Integration von Programmen wie Front Row, Photo Booth und Boot Camp, Eine Funktion zur Verwaltung mehrerer Desktops namens «Spaces», Verbesserungen an Spotlight, Core Animation, leistungsfähigere Bedienungshilfen, neue Funktionen in Mail, ein verbessertes Dashboard sowie eine rundum überarbeitete Fassung von iChat.
Nun stellt sich die Frage, wie viel diese Verbesserungen wirklich wert sind. Apple spricht in allen zehn Fällen von Major-Features, doch bei einem nüchternen Blick auf die Liste der Überarbeitungen reduziert sich die Zahl der wirklichen Neuerungen stark.
64-Bit-Computer unterstützt Mac OS X seit Jaguar, später wurde der 64-Bit-Support bereits mit Panther und Tiger ausgeweitet. Es ist gut zu wissen, dass Apple an solchen Dingen arbeitet, schliesslich gehört den 64-Bit-Prozessoren die Zukunft, aber eigentlich ist dies eher eine langweilige Selbstverständlichkeit als ein aufregendes Feature. Anders verhält es sich mit Time Machine. Für alle diejenigen, die auf einem separaten Laufwerk Backups anlegen, dürfte Time Machine eine willkommene Arbeitserleichterung sein. Dass Apple Front Row, Photo Booth und Boot Camp in Leopard integriert, ist kein wirkliches Feature, für die meisten Anwender bringt das keine Vorteile. Da hat Spaces wesentlich mehr Potenzial, zum Killerfeature zu avancieren. Im Zeitalter immer leistungsfähigerer Computer, auf denen immer mehr Applikationen laufen, ist Spaces mit Sicherheit für viele Anwender eine gute Hilfe beim Bewahren der Übersicht. Von allen zehn Major-Features in Leopard ist Spaces die einzige komplett neue Funktion für den normalen Computeralltag. Wenn Spotlight wirklich so gut wird, wie es Apple verspricht, wird dies ebenfalls eine der wichtigsten Neuerungen in Leopard sein. Die Bedeutung von Core Animation ist hingegen schwer einzuschätzen. Für die Zukunft offeriert Core Animation viele Möglichkeiten zur Gestaltung von Programmoberflächen, doch vorerst scheint es eher eine kleine Spielerei zu sein. Die übrigen vier Major-Features sind kleine Funktionserweiterungen bestehender Systemkomponenten. Klar sind Verbesserungen an den Bedienungshilfen begrüssenswert, aber irrelevant für die breite Masse der Anwender. «Web Clip» ist eine clevere Erweiterung für das Dashboard, auch iChat glänzt mit zahlreichen neuen Effekten, die durchaus für einiges Staunen sorgen dürften. Anwender von Mail werden nun von Apple darin unterstützt, die Welt mit nervigen HTML-Mails zu verseuchen. Ausserdem kann Mail in Leopard auch Notizen verwalten. Wie aufregend!

Die Präsentation der neuen Funktionen in Mail war beinahe symptomatisch für die gesamte Vorstellung von den Neuerungen in Leopard. Mail wurde um einige Kleinigkeiten ergänzt, die allesamt für einige Randgruppen durchaus interessant sind. Aber nichts davon ist in irgendeiner Form aufregend oder beeindruckend. Von einem Major-Feature kann keine Rede sein. Genauso verhält es sich mit iChat, den Bedienungshilfen, dem 64-Bit-Support, dem Dashboard und dem «Complete Package». Die einzelnen Neuerungen in diesen Bereichen sind weder technologisch bedeutend noch sonderlich wichtig für den Anwender. Es hat für jeden Mac-User das eine oder andere nützliche Detail dabei, aber nichts, das eine grundlegende Verbesserung darstellt. Etwas anders verhält es sich mit Spotlight und Time Machine. Spotlight wird dank seinen Netzwerk-Fähigkeiten und weiteren Verbesserungen für viele Power-User erst jetzt richtig interessant. Time Machine hingegen ist eine Funktion, die in dieser Art und Weise völlig neu und durchaus beeindruckend ist. Doch man darf nicht vergessen, dass es sich dabei um Backup-Software handelt, eine Software also, mit der man im Alltag nie in Berührung kommt. Es kommt bestenfalls alle paar Monate vor, dass man verloren gegangene Daten wieder herstellen muss. Demnach wird man den ganzen Time-Machine-Workflow, der ja die Seele von Time Machine bildet, nur einige wenige Male benutzen müssen. Übrig bleiben noch Core Animation und Spaces. Beides sind echte Neuerungen und beide haben das Potenzial, Mac OS X einen Schritt nach vorne zu bringen, indem sie effektiv die tägliche Benutzung erleichtern. Während sich Core Animation an Programmierer richtet, ist Spaces ein Feature für den Anwender. Ironischerweise ist genau das Feature, welches von allem bisher Gesehenen aus Leopard am meisten ins Auge springt, keine Apple-Erfindung, sondern eine aus zahlreichen anderen Betriebssystemen seit Jahren bekannte Funktion.

Ist Leopard nun eine Enttäuschung? Nein, dieses Fazit wäre definitiv verfrüht. Was Apple auf der WWDC gezeigt hat, waren solide Verbesserungen. Nicht mehr und nicht weniger. Beachten muss man zwei Punkte. Erstens: Einige solide Verbesserungen reichen für ein Major-Update nicht aus. Zweitens: Apple hat noch viel Zeit, um die Krallen des Leoparden zu schärfen. Ein Major-Update kann man dann als gelungen bezeichnen, wenn es einerseits einige wirklich bahnbrechende Neuigkeiten bietet und auf der anderen Seite sämtliche bestehenden Komponenten in überarbeiteten Fassungen beinhaltet. Dass Leopard verbesserte Versionen von Mail, Safari, iChat, iCal, dem Finder und all den anderen Systemprogrammen mit sich bringt, ist lediglich eine Selbstverständlichkeit. Solche Verbesserungen brachte bisher jede grosse OS-X-Überarbeitung mit sich. Doch deswegen musste Apple den Update-Zyklus nicht verdoppeln.
Auch wenn der Mehrwert einer neues Systemversion meist in der Summe der kleinen Verbesserungen liegt, muss Leopard auch einige wirkliche Killerfunktionen beinhalten, um in die Fussstapfen des Tigers treten zu können. Apple braucht gute Argumente, um seine Kundschaft zum Umstieg auf Leopard zu ermuntern. Die Zeiten, in denen die gesamte Kundenbasis jeden Updatesprung fast automatisch mitmachte, sind definitiv vorbei. Klar werden die Fans und die Power-User den Leopard kaufen, sobald er erhältlich ist, aber die grosse Zahl der Mac-OS-X-Anwender ist mit Tiger bereits mehr als glücklich.
Doch für Apple ist es enorm wichtig, dass die breite Masse jeden Versionssprung mitmacht. Einerseits weil Apple an jeder verkauften Leopard-Packung gutes Geld verdient, andererseits, weil Apple davon lebt, die Abwärtskompatibilität möglichst rasch kappen zu können. Noch vor drei Jahren war Jaguar das aktuellste System, dennoch hat Apple die Unterstützung von Jaguar längst aufgegeben. Das war nur möglich, weil die Mac-Anwender den Schritt von Jaguar auf Panther und Tiger mitgegangen sind. Apple wird alles daran geben, um Leopard zu einem ähnlichen Erfolg wie Tiger zu machen. Doch dafür braucht es mehr als ein paar nette neue iChat-Effekte oder Templates für Mail.

Wenn das, was Apple bisher aus Leopard gezeigt hat, wirklich die ganz grossen Neuerungen sind, dann ist Leopard in meinen Augen eine Enttäuschung. Doch wenn Apple noch die eine oder andere grosse Verbesserung aus dem Hut zaubern kann und das bisher Gesehene nur Zusatz ist, dürfen wir uns auf ein grossartiges Update freuen. Vieles spricht dafür, dass letzterer Fall eintreffen wird. Wie bereits erläutert, hat Apple viel Zeit gehabt, an grossen Neuerungen zu arbeiten und auch das Interesse an einem schnellen Umstieg der Kundschaft auf Leopard ist riesig. Doch das wichtigste Indiz dafür, dass Apple die Killerfunktionen erst noch enthüllen wird, ist Steve Jobs’ Ankündigung, einige Top-Secret-Neuerungen aus Leopard werde Apple noch ein Weilchen unter Verschluss halten. Auch wenn Steve ein Mensch grosser Worte ist, hätte er das nicht gesagt, wenn Apple nicht noch etwas in der Hinterhand halten würde. Spätestens auf der Macworld im Januar wird Steve Jobs das Geheimnis um seine Top-Secret-Features lüften müssen. Die auf der Macworld anwesenden Mac-Fans wird er mit neuen Gimmicks in Safari oder Mail nicht zufrieden stellen können. Denn dafür braucht es mehr - viel mehr. Einen Knall braucht es. Steve Jobs weiss das. Womit aber könnte Apple für einen solchen Knall sorgen? Wie immer gibt es viele Möglichkeiten, doch zwei erscheinen besonders plausibel. Einerseits ist das der Finder. Seit Mac OS X auf dem Markt ist, hört man die Rufe nach einem überarbeiteten Finder. In Tiger wurde dieser kaum überarbeitet und bei der Leopard-Präsentation wurde er mit keinem Wort erwähnt. Dabei ist der Finder zu wichtig, um ignoriert zu werden. Er ist das wohl wichtigste Programm auf jedem Computer. Wenn Apple den Finder nicht überarbeitet, wird Steve Jobs am Ende noch Häme von den Windows-Anwendern einstecken müssen, die mit Vista in den Genuss eines deutlich verbesserten Explorers kommen werden. Die zweite Möglichkeit ist das User Interface. Auch in diesem Bereich konnte Microsoft mit Vista grosse Fortschritte verbuchen. Aufmerksame Keynote-Beobachter werden festgestellt haben, dass Apple an der Leopard-GUI noch kaum gearbeitet hat. Der Finder erstrahlt weiterhin im Metall-Look, von dem sich iChat hingegen verabschiedet hat. Im Gegensatz zur Vorschau kommt iChat aber nicht im Mail-Look daher, sondern sieht eher aus wie der Finder unter Jaguar. Das GUI-Chaos unter Leopard ist nicht zu übersehen und es wäre nicht überraschend, wenn hier noch eine grosse Änderung kommen würde. Mit Core Animation hat Apple die nötige Technologie für eine Benutzeroberfläche der nächsten Generation bereits vorgestellt, es fehlt nur noch Umsetzung - der grosse Knall eben.