Mac OS X Leopard: Ein Blick zurück, ein Blick nach vorn

Gedanken über Mac OS X Leopard

Zwei Millionen Menschen haben Mac OS X Leopard am ersten Wochenende nach dem Verkaufsstart erworben. Ein beeindruckender Wert, sind dies doch fast zehn Prozent aller Mac-Anwender! Vor zweieinhalb Jahren waren mehr als sechs Wochen ins Land gezogen, ehe Apple die Tiger-Version von OS X zwei Millionen Mal verkauft hatte. Wie lässt sich dieser Boom erklären? Dieser Artikel soll kein weiterer Leopard-Testbericht sein, davon gibt es bereits mehr als genug. Viel eher möchte ich einen Blick auf einige interessante Aspekte aus dem Werdegang von OS X Leopard werfen und einige Szenarien für die zukünftige Entwicklung von Mac OS X aufzeigen.

dae

Was lange währt…

Eigentlich ist es eine verrückte Sache: Als Apple im Frühjahr zähneknirschend eingestehen musste, den versprochenen Auslieferungstermin von Leopard nicht einhalten zu können, nahm dies die Mac-Gemeinde mit ungewohnter Gelassenheit zur Kenntnis. Solange die Anwender mit Tiger glücklich sind, scheren sie sich nicht um Leopard - so oder ähnlich sah die Situation noch vor wenigen Monaten aus.
Und nun, knapp ein halbes Jahr später, rennen dieselben Anwender Apple die Bude ein, um sich möglichst gleich am allerersten Tag ihr Leopard-Exemplar zu ergattern. Wie lässt sich das erklären? Was hat Apple getan, um diesen Stimmungswechsel zu erzeugen und um dem Leoparden eine solch fantastische Premiere zu ermöglichen? Was wurde eigentlich aus den versprochenen Top-Secret-Features?

Streng geheim: Die Top-Secret-Features

Bei der ersten ausführlichen Leopard-Präsentation im Sommer 2006 hielt sich Apple in vielen Fragen erstaunlich bedeckt - wohl im Wissen, dass die damals angekündigten neuen Features nicht ausreichen würden, um die Mac-Fans zu überzeugen. Man wolle verhindern, von Microsoft kopiert zu werden, deshalb werde man einige Top-Secret-Features aus Leopard erst später enthüllen, so die offizielle Erklärung von Apple-Chef Steve Jobs.
Die Zeit verstrich und Apple verteilte laufend neue Vorabversionen von Leopard an Entwickler. Doch von den Top-Secret-Features war weiterhin keine Spur zu sehen. Im Januar hielt Jobs seine traditionelle Keynote zur Eröffnung der Macworld Expo in San Francisco, doch auch da war Leopard kein Thema.

Erst im Sommer 2007, fast ein halbes Jahr nach dem Verkaufsstart von Windows Vista, gab es wieder Neuigkeiten aus Cupertino. Auf der WWDC zeigte Apple eine Beta-Version von Leopard, welche alle Funktionen der Finalversion enthalten sollte.
Von den Top-Secret-Features fiel bei dieser zweiten Leopard-Präsentation allerdings kein einziges Wort mehr. Steve führte zahlreiche bereits bekannte Neuerungen, zum Beispiel die Verbesserungen in iChat und Mail, erneut vor und erwähnte auch einige neue Features wie beispielsweise Quick Look, die zwar offiziell noch geheim waren, aber bereits in frühen Developer-Versionen von Leopard aufgetaucht waren.

Dies waren zwar allesamt willkommene Neuerungen, für grosse Begeisterungsstürme konnte Apple damit aber nicht sorgen. Trotzdem stellt die WWDC 2007 ein Schlüsselereignis in der Entstehungsgeschichte von Leopard dar. Es war der Moment, in dem die Stimmung der Mac-Anwender bezüglich Leopard kippte. Aus verbreiteter Skepsis wurde gespannte Vorfreude.
Verantwortlich für diese Entwicklung waren zwei Themen, die Apple auf der WWDC anschnitt: Der Finder und die grafische Oberfläche von Mac OS X. In beiden Bereichen profitiert Leopard von starken Veränderungen. Es ist nicht ganz klar, ob dies nun effektiv die viel diskutierten Top-Secret-Features sind, doch unabhängig von dieser Frage konnte Apple mit diesen Ankündigungen seine Kunden von Leopards’ Mehrwert überzeugen. 

Neuer Finder, neue Oberfläche

Im August 2006 habe ich in meiner ersten Kolumne über Leopard folgendes geschrieben:

Wenn das, was Apple bisher aus Leopard gezeigt hat, wirklich die ganz grossen Neuerungen sind, dann ist Leopard in meinen Augen eine Enttäuschung. Doch wenn Apple noch die eine oder andere grosse Verbesserung aus dem Hut zaubern kann und das bisher Gesehene nur Zusatz ist, dürfen wir uns auf ein grossartiges Update freuen.[…]

Spätestens auf der Macworld im Januar wird Steve Jobs das Geheimnis um seine Top-Secret-Features lüften müssen. Die auf der Macworld anwesenden Mac-Fans wird er mit neuen Gimmicks in Safari oder Mail nicht zufrieden stellen können. Denn dafür braucht es mehr - viel mehr. Einen Knall braucht es. Steve Jobs weiss das. Womit aber könnte Apple für einen solchen Knall sorgen? Wie immer gibt es viele Möglichkeiten, doch zwei erscheinen besonders plausibel. Einerseits ist das der Finder. Seit Mac OS X auf dem Markt ist, hört man die Rufe nach einem überarbeiteten Finder. In Tiger wurde dieser kaum überarbeitet und bei der Leopard-Präsentation wurde er mit keinem Wort erwähnt. Dabei ist der Finder zu wichtig, um ignoriert zu werden. Er ist das wohl wichtigste Programm auf jedem Computer. Wenn Apple den Finder nicht überarbeitet, wird Steve Jobs am Ende noch Häme von den Windows-Anwendern einstecken müssen, die mit Vista in den Genuss eines deutlich verbesserten Explorers kommen werden. Die zweite Möglichkeit ist das User Interface. Auch in diesem Bereich konnte Microsoft mit Vista grosse Fortschritte verbuchen. Aufmerksame Keynote-Beobachter werden festgestellt haben, dass Apple an der Leopard-GUI noch kaum gearbeitet hat. Der Finder erstrahlt weiterhin im Metall-Look, von dem sich iChat hingegen verabschiedet hat. Im Gegensatz zur Vorschau kommt iChat aber nicht im Mail-Look daher, sondern sieht eher aus wie der Finder unter Jaguar. Das GUI-Chaos unter Leopard ist nicht zu übersehen und es wäre nicht überraschend, wenn hier noch eine grosse Änderung kommen würde.

Zwar dauerte es deutlich länger als von mir vermutet, bis Apple die Karten aufdeckte, doch letztendlich erfüllte Apple mit Leopard den Wunsch vieler Anwender, sich endlich einmal dem Finder und dem User Interface anzunehmen.
In den vergangenen Jahren trieb Apple die Entwicklung am Finder stets nur halbherzig voran. Mit jedem Major-Update erhielt auch der Finder jeweils kleinere Verbesserungen, zum Beispiel die Seitenleiste aus Panther oder die Diashow-Funktion aus Tiger. Doch am maroden technischen Unterbau und den damit verbundenen grossen Schwächen hinsichtlich Stabilität und Performance änderte sich viel zu wenig. Nun hat sich Apple dieser Thematik endlich angenommen und dem Finder eine insgesamt gelungene Frischzellenkur verpasst. Auch der Leopard-Finder weist noch einige Schwächen auf, Stichworte sind zum Beispiel die FTP-Unterstützung und das Rechtemanagement, aber es ist immerhin der erste grosse Schritt nach vorn seit langem.

Ähnlich verhält es sich mit dem neuen User Interface. Gemessen an der Menge der Kritik an der semitransparenten Menüleiste und dem 3D-Dock kriegt man nicht den Eindruck, mit Leopard sei nun alles perfekt. Trotzdem rechnen es die User Apple offenbar hoch an, sich mit diesem Thema endlich einmal ernsthaft beschäftigt zu haben.
Mac OS X war schon immer eine Augenweide, das gilt ohne Ausnahme für alle bisherigen Versionen. Das Problem von Tiger war, dass jegliche Einheitlichkeit in der Gestaltung der grafischen Oberfläche fehlte. Mit jedem neuen Programm führte Apple auch neue GUI-Elemente ein, so dass die Oberfläche stellenweise chaotisch und grösstenteils wenig durchdacht und völlig plan- und lustlos gestaltet wirkte. Nun ist Apple über den eigenen Schatten gesprungen und hat dieser Entwicklung mit der Einführung eines konsistenten Fensterdesigns ein Ende gesetzt.

Die Neuerungen am Finder und am Interface zeigen zwei wichtige Punkte auf. Erstens, dass Apple nach wie vor auf die Wünsche der Anwender hört und zweitens, dass Apple den Mut hat, auch an den grundlegenden Merkmalen und Technologien von OS X einschneidende Veränderungen vorzunehmen.

Der Fall Adobe

Dass Apple bereit ist, nach vorne zu gehen und alte Zöpfe abzuschneiden, zeigt sich auch am Beispiel der Classic-Umgebung. Unter Leopard lassen sich keine OS-9-Programme mehr starten. Dieser Schritt hat keinen technologischen Hintergrund, sondern es ist eine Entscheidung Apples im Sinne des Fortschrittes. Mac OS 9 ist tot und hat keinen Platz mehr im Mac-System der Gegenwart.

Doch Apple möchte noch einen Schritt weiter gehen. Auch die Tage der Carbon-API sind offenbar gezählt. Wir erinnern uns: Carbon war Apples Überlebensversicherung bei der Migration von OS 9 auf Mac OS X. Die Carbon-Library vereinigt die wichtigsten Programmierschnittstellen aus OS 9 mit der neuen OS-X-Technologie und ermöglichte einen sanften Übergang vom klassischen Mac-System hin zu OS X.

Nun scheint es, als möchte sich Apple auch von diesem letzten Überbleibsel aus der OS-9-Ära trennen. John Siracusa von Ars Technica widmete den Entwicklungen auf der Kernel-Ebene von OS X mehrere Abschnitte seines Leopard-Reviews und weist auf einige interessante Details hin.
Apple hat den OS-X-Kernel mit Leopard massiv überarbeitet und verbessert, konzentrierte sich dabei aber fast ausschliesslich auf Cocoa. Das prominenteste Beispiel ist die 64-Bit-Unterstützung. Im Sommer 2006 veröffentlichte Apple eine 64-Bit-Fassung der Carbon-APIs, diese wurde unterdessen aber zurückgezogen. An der Botschaft gibt es keinen Zweifel: Die Zukunft heisst Cocoa; Carbon steht auf der Abschussliste.

Im Prinzip steht Carbon heute da, wo die Classic-Umgebung vor vier oder fünf Jahren stand. Noch immer wird sie von vielen Applikationen benötigt, doch allmählich verliert sie an Bedeutung und hat keinen Platz mehr in den Plänen für die zukünftige Entwicklung von Mac OS X.

Was hat das für Konsequenzen? Für Apple ist es ein grosser Vorteil. In Zukunft muss OS X nicht mehr drei Programmierschnittstellen unterstützen, sondern nur noch eine. Apple kann die Entwicklung von Cocoa und Objective-C mit voller Kraft vorantreiben, davon profitieren die Drittanbieter und letztlich auch die Endanwender. Natürlich gibt es aber auch Verlierer. Nämlich all diejenigen, die bisher voll auf Carbon gesetzt haben. Hinter Carbon steht vor allem ein Name: Adobe. Als Apple vor zehn Jahren seine Pläne für Rhapsody (heute Mac OS X) offen legte, beinhaltete das System zwei Frameworks: Die «Yellow Box» (aus NextStep), heute bekannt als Cocoa, und die «Blue Box», heute bekannt als Classic-Umgebung. Ein drittes Framework im Sinne der Carbon-Umgebung war von Apple weder geplant noch erwünscht. Erst unter massivem Druck der Firma Adobe, die ihre Software für den Betrieb unter Mac OS X nicht neu schreiben wollte, gab Apple schlussendlich nach und entwickelte die Carbon-API.
In der Folge zählte Adobe zu den ersten Drittanbietern, die auf den OS-X-Zug aufsprangen und ihre Software für das neue Mac-System anpassten. Rundum gelungen wirkten die OS-X-Fassungen der Adobe-Programme seitdem aber nie, Adobes Image unter den Mac-Kunden hat in der Zwischenzeit merklich gelitten.

Zu den wenigen Programmen, die unter Leopard nicht reibungsfrei funktionieren, zählen gleich mehrere Adobe-Produkte. Wenn die CS2 keinen Leopard-Support mehr erhält, mögen das viele noch verstehen, dass aber ein brandneues Programm wie Lightroom nicht einwandfrei läuft, ist nicht akzeptabel. Ein Jahr lang wurde Lightroom öffentlich getestet und nun hatte Adobe 15 Monate Zeit, einen reibungsfreien Betrieb unter Leopard sicherzustellen, doch offenbar war Adobe dazu nicht in der Lage.
Viele Anwender verstehen nicht, weshalb sich Adobe derart schwer tut mit dem Einsatz moderner OS-X-Technologien in ihren Produkten. Nun könnte es sein, dass Adobe für seine zurückhaltende Unterstützung von Mac OS X bluten wird.

Carbon wird sicher noch für mehrere Jahre ein wichtiger Bestandteil von Mac OS X sein. Apple kann es sich nicht leisten, Carbon von einem Tag auf den anderen fallen zu lassen. Doch die Marschroute ist eindeutig: Carbon wird sterben, Apple richtet seinen gesamten Fokus auf Cocoa. Und die Drittentwickler tun gut daran, Apples Beispiel zu folgen. Adobe muss spätestens in zwei bis drei Jahren eine 64-Bit-Fassung seiner Programme veröffentlichen, spätestens dann führt kein Weg mehr an Cocoa vorbei.

Volle Kraft voraus!

Apple hat es geschafft, Leopard zu einem äusserst attraktiven Produkt zu formen. Zweifellos profitiert Apple von der anhaltenden Vista-Krise und konnte die Verspätung Leopards gar in einen Vorteil ummünzen. Leopard wirkt ausgereift und zukunftssicher. Glaubt man Steve Jobs, soll spätestens in eineinhalb Jahren bereits das nächste Major-Release folgen. Man darf gespannt sein!

Gönner-Abo

Ab CHF 5.– im Monat

👉🏼 Wir benötigen deine Unterstützung! Unterstütze macprime mit einem freiwilligen Gönner-Abo und mache die Zukunft unseres unabhängigen Apple-Mediums aus der Schweiz mit möglich.

macprime unterstützen

11 Kommentare

Profilfoto von noidentity.ch

Kommentar von noidentity.ch

timemachine richtet sich aber eben genau an diese user die keine lust haben irgendwas zu konfigurieren an ihrem backup. es richtet sich an user die bisher nie backups gemacht haben und für die (und auch für andere) ist es einfach genial.
für mich ist es perfekt, ich habe keine lust da gross was einzustellen, das ding soll einfach backups machen und ich will bequem alte stände zurückholen können im notfall ... und genau das macht timemachine perfekt.

Dieser Inhalt kann nicht mehr kommentiert werden.

Anmelden um neue Kommentare zu verfassen

Allegra Leser! Nur angemeldete Nutzer können bei diesem Inhalt Kommentare hinterlassen. Jetzt kostenlos registrieren oder mit bestehendem Benutzerprofil anmelden.