It’s Showtime, eine Nachbetrachtung

Die Eroberung des Wohnzimmers hat begonnen

Der Special-Event «It’s Showtime» vom vergangenen Dienstag war mit grosser Spannung erwartet worden und die Erwartungen in Apple waren so hoch wie lange nicht mehr. Konnte Apple diesen Erwartungen gerecht werden? Nachdem meine Kristallkugel für einmal ziemlich zuverlässig war, möchte ich an dieser Stelle meine Gedanken zu den neuen Produkten, die Apple vorgestellt oder angekündigt hat, niederschreiben.

Thomas Zaugg

iPod 5G

Nicht ganz überraschend waren all die spektakulären Gerüchte über einen neuen «Fullscreen»-iPod falsch, bzw. die Zeit war noch nicht reif dafür. Ich bin überzeugt, dass Apple im nächsten Jahr - vielleicht schon an der Macworld San Francisco Anfang Januar - einen solchen iPod vorstellen wird. Apple hat dem iPod 5G zwar einige neue Features spendiert (hellere Displays, neue Suchfunktion, längere Batterielaufzeit beim Betrachten von Videos), das kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich beim aktuellen Update um eine reine Produktpflege handelt. Andere neue Funktionen (höhere Video-Auflösung, Games) lassen sich via Firmware-Update auch auf den «alten» iPods 5G nutzen. Alles in allem war das iPod-Update für mich ein leise Enttäuschung, obwohl ich eigentlich nichts anderes erwartet habe. TV-Serien im Bild-Format 4:3 lassen sich in erstaunlich guter Qualität auf dem iPod 5G betrachten. Spielfilme haben hingegen meistens ein Breitbild-Format, der sichtbare Bereich auf dem kleinen iPod-Display wird dadurch noch stärker eingeschränkt. Wenn es Apple ernst mit dem Verkauf von Spielfilme ist (wovon ich ausgehe), kann der jetzige iPod nur eine Übergangslösung sein, die besser früher als später durch einen «Widescreen»-iPod der sechsten Generation abgelöst werden sollte. Anderseits spricht es für Apple, nicht ein unausgereiftes Produkt auf den Markt geworfen zu haben.

iPod nano

Eigentlich müsste der neue iPod nano «iPod mini mini» heissen. Apple hat sich an den äusserst erfolgreichen iPod mini erinnert und den iPod nano entsprechend angepasst. Dieser sieht jetzt nämlich aus wie ein kleiner iPod mini. Die Kehrtwende ist deshalb interessant, weil der iPod nano der ersten Generation noch aussah wie der kleine Bruder des «grossen» iPods. Offenbar vollzieht Apple nun auch bei den iPods (wieder) eine klare Trennung zwischen den «Consumer»- und «Pro»-Segmenten. Vom neuen Look abgesehen, haben die neuen iPod nanos hellere Displays und vor allem eine längere Batterielaufzeit. Laut Apple soll der nano nun bis zu 24 Stunden durchhalten. Die Batterielaufzeit war bis jetzt ein Punkt, bei dem die Konkurrenz gegenüber den iPods punkten konnte. Es freut mich, konstatieren zu dürfen, dass Apple die Konkurrenz ernst nimmt, auch wenn sich die iPods wesentlich besser verkaufen als Konkurrenzprodukte. Die neuen nanos sehen nicht nur besser aus und halten länger durch, sondern verfügen auch über ein ausgezeichnetes Preis-Leistungsverhältnis.

iPod shuffle

Der iPod shuffle war - neben iTunes 7 - die grosse Überraschung für mich. Meines Wissens hat keine einzige Gerüchteseite einen neuen iPod shuffle in dieser Form vorausgesagt. Wieder einmal ist es Apple gelungen, eine Innovation bis zum Schluss geheim zu halten. Während der iPod shuffle der ersten Generation eine Art «Einsteiger»-iPod sein sollte (vor dessen Markteinführung im Januar 2005 kostete der günstigste iPod CHF 369), ist die zweite Generation nun so etwas wie ein «Zweit-iPod». Wer noch keinen iPod besitzt, ist wahrscheinlich mit einem iPod nano, der bereits ab CHF 219 zu haben ist, besser bedient. Der neue iPod shuffle eignet sich gut zum Joggen oder zum Musik-/Hörbuch-Hören im Haus. Ich finde das Design jedenfalls toll und der Preis (CHF 119) ist äusserst attraktiv. Ich habe mir daher bereits einen neuen iPod shuffle bestellt.

iTunes 7

Die Einführung einer neuen iTunes-Version war sicher keine Sensation, dass Apple iTunes gleich eine Generalüberholung spendierte, war hingegen eine Überraschung. Noch selten wurde eine Software in einem einzigen Schritt von Grund auf neu konzipiert. Wobei man hier noch anfügen muss, dass sich das Grundkonzept von iTunes bereits in den letzten 18 Monaten schrittweise verändert hat. Ursprünglich war iTunes eine Jukebox zum Abspielen von Musik, zum Übertragen der eigenen Kollektion auf den iPod sowie zum Brennen von CDs. Im Frühling letzten Jahres erhielt iTunes in Version 4.8 erstmals Video-Funktionalität. Wenig später kamen Podcasts in Version 4.9 dazu. Die Möglichkeit, direkt in iTunes Podcasts zu abonnieren, löste ein kaum vorhersehbarer Boom in der Podcast-Szene aus. Ohne iTunes wären Podcasts wohl eine Randerscheinung geblieben. Mit Version 5 erhielt iTunes zum ersten Mal einen neuen Look. Version 6 brachte eine Verbesserung bei der Verwaltung von Videos. Mit dem Sprung auf Version 7 und der gleichzeitigen Einführung eines Movie-Store innerhalb des iTunes Store ist iTunes definitiv zum «Apple Media Player» mutiert. Zu Zeiten von iTunes 4.x wurde bei Vergleichen zwischen dem Windows Media Player und iTunes teilweise moniert, iTunes sei schlechter, da es nur Musik verwalten könne. Der WMP hingegen war bis und mit Version 10 kaum brauchbar, da es Microsoft einmal mehr nicht geschafft hatte, eine Vielzahl von Funktionen so in eine Software zu integrieren, damit diese auch für den Durchschnitts-User noch nutzbar war. Aus diesem Grund befürchteten viele, iTunes könnte ebenfalls seine intuitive Benutzeroberfläche verlieren, wenn Apple weitere Funktionen einfügt. Zum Glück haben sich diese Befürchtungen nicht bewahrheitet, iTunes ist und bleibt iTunes. (Fairerweise muss ich noch anfügen, dass es Microsoft mittlerweile geschafft hat, den WMP in Version 11 radikal zu verbessern, allerdings erinnert die MS-Software nun stärker denn je an iTunes, wobei der WMP die Cover-View zuerst hatte.) Ich bin vom neuen iTunes beeindruckt und begeistert, ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass man ein sehr gutes Programm so sehr verbessern könnte. Wo Licht ist, ist allerdings auch (ganz wenig) Schatten. Früher, d. h. bis und mit iTunes 6, habe ich das iTunes-Menü fast nie benutzt. In iTunes 7 hat Apple allerdings zwei Buttons aus der GUI entfernt, die sie besser dort belassen hätten. Zum einen kann der Equalizer nun nicht mehr direkt aus der GUI aufgerufen werden, zum anderen finde ich die Idee, dass Kapitel in Podcasts und Hörbücher nun über einen zusätzlichen Menü-Eintrag ausgewählt werden müssen, nicht besonders gut. Alles in allem ist iTunes 7 aber ein wirklich gelungenes Update.

iTunes Store

Bereits die neue Bezeichnung deutet auf eine Neuausrichtung hin, Apple hat «Music» aus dem Namen gestrichen. Musik ist nur noch einer - wenn auch noch immer der wichtigste - Bereich im iTunes Store. In den USA können neben Songs und Hörbüchern mittlerweile auch Spielfilme, Kurzfilme, TV-Serien, Musik-Videos und Games für den iPod 5G gekauft werden. Apple schafft sich damit zusätzliche Standbeine. Da die Konkurrenz im Bereich legale Musik-Downloads grösser werden wird, ist es sicher angebracht, das Geschäftsfeld auszuweiten.

iTV

«iTV» soll das noch fehlende Glied im Apple-Ökosystem werden. Mit dieser kleinen Box sollen sämtliche Medieninhalte, welche irgendwo auf einem Mac gespeichert sind, ins Wohnzimmer gestreamt werden, damit diese auch dort gehört, bzw. betrachtet werden können. Die Idee Apples, eine Art Set-Top-Box zu kreieren, anstatt Microsofts gescheiterter Idee von Wohnzimmer-PCs nachzueifern, zeigt einmal mehr, welche Weitsicht die Leute in Cupertino besitzen. Wie gut «iTV» sein wird, wird sich erst zeigen, wenn Apple die definitive Version vorstellt. Gewisse Fragezeichen stellen sich beim Streaming-Ansatz: Wer einmal versucht hat, Videos oder riesige iPhoto-Bibliotheken zu streamen, wird wahrscheinlich auch die Erfahrung gemacht haben, dass die aktuelle Wireless-LAN-Technolgie in diesem Bereich noch ihre Tücken hat, es kann immer mal wieder zu Aussetzern kommen. Wie Apple dieses Problem lösen will, ist nicht nur für mich, sondern auch für Experten unklar. Zudem stellt sich die Frage, wieso Apple scheinbar auf eine interne Harddisk verzichtet und wieso die «iTV» keinen TV-Tuner hat. Liegt der Grund vielleicht darin, dass Apple möchte, dass die User ihre Filme im iTunes Store kaufen? Aus rein wirtschaftlicher Sicht wäre ein solcher Gedanke nachvollziehbar, der Erfolg dieser Set-Top-Box könnte dadurch allerdings geschmälert werden. Dass diese Vermutung nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, ergibt sich aus der Tatsache, dass Apple ein Hardware-Produkt Monate im Voraus ankündigt (was für das Unternehmen sehr aussergewöhnlich ist). Apple möchte erreichen, dass weitere Film-Studios ihre Produktionen (zu Apples Konditionen) auch über den iTunes Store verkaufen. Die Chance, dass diese wirklich einsteigen, ist grösser, wenn sie wissen, dass die Spielfilme in absehbarer Zukunft nicht nur auf einem Computer oder einem iPod, sondern auch auf einem Fernsehgerät im Wohnzimmer betrachtet werden können. Apple ist mit der «iTV» auf dem richtigen Weg (in Richtung Wohnzimmer), ob die Set-Top-Box in dieser Form das akkurate Mittel ist, wird sich erst zeigen, wenn sie auf den Markt kommt und wir wissen, was sich an Technik unter dem schicken Gehäuse versteckt.

Fazit

Apple setzt zur Eroberung des Wohnzimmers an und baut das eigene Öko-System weiter aus. Wenn das Unternehmen auch in Zukunft die richtigen Entscheidungen fällt, und die Produkte verkauft, die der Kunden haben möchte, sieht die Zukunft Apples mehr als nur rosig aus.

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