His Steveness

Apple ist nicht gleich Jobs

Apple-Gründer, Visionär, Träumer und Querdenker Steve Jobs ist krank und nimmt sich eine sechsmonatige Auszeit von Apple. Die Börse und die Community spielen verrückt - kann Apple einen erneuten Weggang (bzw. gar Verlust) von Steve Jobs verkraften?

Stefan Rechsteiner

Es war der Schweizer Nationalfeiertag 2004, als eine Nachricht einschlug wie eine Bombe: Steve Jobs sei an Bauchspeicheldüsenkrebs erkrankt und habe sich deshalb einer Operation unterzogen. «Thank God» sei der Krebs, an dem er erkrankte, ein seltene, heilbare Form des Bauchspeicheldrüsenkrebs (der neuroendokrine Inselzellen-Tumor), schrieb Jobs von seinem Spitalbett aus mit seinem PowerBook 17”. Am Sonntag, 1. August 2004 sei der Krebs erfolgreich operiert worden, Chemo- oder Strahlentherapie waren keine nötig, so Jobs. Jobs würde nun noch während zwei Monaten dem Tagesgeschäft bei Apple fern bleiben, bis er dann im September wieder die Arbeit als CEO bei Apple aufnehmen wird.

Schlagartig wurde der Community die Bedeutung, die Steve für Apple hat, ins Bewusstsein gerufen. Steve Jobs ist Apple - ohne Steve Jobs kein Apple. Apples Aktienkurs erhielt einen kleinen Schlaganfall. Was, wenn in dieser Geschichte der eine oder andere Faktor etwas anders gelegen wäre und Steve Jobs auf einmal von der Bildfläche verschwunden wäre? Die Öffentlichkeit begann sich zu fragen, wer Steve Jobs ersetzen könnte und ob Apple auch ohne Jobs das gleiche Apple sein beziehungsweise überhaupt überleben könnte. Apple überging Jobs’ kurze Abwesenheit klug mit neuen Produkten (u.a. zur Apple Expo Paris: neuer iMac) und wollte das Thema möglichst schnell vom Tisch haben, denn die Geschichte deckte für den Konzern Apple eine schwierige Frage auf, über die man anscheinend nicht so gerne sprach: «Was, wenn Jobs auf einmal nicht mehr ist?»

Steve Jobs kehrte wenige Wochen nach seiner Operation wieder zu Apple zurück und übernahm wieder seine Aufgaben. Während seiner Abwesenheit hatte Tim Cook die Tagesgeschäfte geführt.

Über die nächsten Monate und Jahre schien es Jobs wieder gut zu gehen. Er bestritt wieder alle seine Keynotes, glänzte auf der Bühne und stellte in den vier Jahren doch so einige grosse Neuheiten vor.

Erneute Spekulationen und Gerüchte rund um einen verschlechterten Gesunheitszustand von Jobs machten dann ab Mitte 2007 die Runde. Das ganze Jahr 2008 hindurch hielten sich die Gerüchte um ein erneutes Erkranken an Krebs hartnäckig in der Community. Steve Jobs sah bei seinen öffentlichen Auftritten wie den Keynotes sehr abgemagert aus - dies heizte die Gerüchte natürlich noch mehr an. Ende August 2008 veröffentlichte Bloomberg versehentlich sogar einen 17-seitigen (jedoch noch nicht fertigen) Nachruf auf Steve Jobs. Fünf Wochen später wurde auf einer CNN-News-Community-Seite ein Bericht veröffentlicht, wonach Steve Jobs mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert worden sei. Infolgedessen sank Apples Aktienkurs um über zehn Prozent.

Im September 2008, bei einer Keynote zu einem Special Event, äusserte sich Jobs gegen die Gerüchte: «The reports of my death are grealty exggerated.» (‘Die Berichte über meinen Tod sind stark übertrieben.’). Es gehe ihm gut.

Knappe drei Monate später verfasst Steve Jobs einen offenen Brief und äussert sich - kurz vor der Macworld in San Francisco - über seine Gesundheit. Jobs leide an einem hormonellen Ungleichgewicht, welches zu den deutlichen Gewichtsverlusten geführt habe. Jobs beruhigte, es gäbe keinen Grund zur Aufregung. Er befände sich in medizinischer Behandlung und die Ärzte würden von einer vollständigen Genesung bis im Frühjahr ausgehen. Die Behandlung sei zudem kein Hindernis für seine Tätigkeiten als CEO von Apple, er würde diese weiterhin wie gewohnt ausführen. Kurz davor wurde bekannt, dass nicht Jobs die MWSF Keynote halten würde, sondern Phil Schiller, der diese Aufgabe bereits an der Apple Expo 2004 in Paris während Jobs’ Auszeit übernommen hatte.

Auch wenn Jobs im offenen Brief mit baldiger Genesung beruhigte, blieb doch Unbehangen in der Community, Jobs könnte es doch schlechter gehen als kommuniziert. Neun Tage nach Jobs offenem Brief folgte dann auch ein Mail von Jobs an die Apple-Mitarbeiter, in welchem Jobs auf eine doch ernstere Lage hinwies. Seine gesundheitlichen Probleme seien nun doch komplexer als angenommen, er müsse sich deshalb eine Auszeit nehmen und sich voll und ganz seiner Gesundheit widmen. Tim Cook übernehme seine Tätigkeiten bei Apple, bis er im Juni dieses Jahres wieder zurück kommen werde.

Diesmal war die Welle, die die Nachricht auslöste, gar noch grösser als 2004: Jobs-Auszeit war omnipräsent in den Medien. Die Börse reagierte wiederum negativ auf diese Nachricht: Der Aktien-Kurs brach zeitweilig um über zehn Prozentpunkte ein.

In der fortlaufenden Woche überschlagen sich dann auch die Berichte rund um Jobs und dessen Gesundheitszustand. Die Gerüchte gehen von einer anstehenden Lebertransplantation bis hin zu einer erneuten Krebserkrankung oder gar HIV. Ein Blatt übertrumpft das andere mit noch spekulativeren Aussagen über Jobs’ Gesundheit. Alle wollen wissen, was Jobs fehlt, auch wenn sie keinen Kontakt zu ihm haben. Kollege Ken Fisher von Ars Technica bringt es schlussendlich auf den Punkt: «Fakt ist, kein Analyst, kein unbeteiligter Arzt oder Jogurt-Shop-Besitzer weiss wirklich, was mit Steve Jobs los ist.»

Jobs wird als der Visionär des Silicon Valleys angeschaut. Niemand ausser Jobs kann Apple leiten. Was für Jobs gilt, gilt für Apple. Was Jobs geschieht, geschieht auch Apple. Dies ist eine weit verbreitete Ansicht in der Branche. Der Personenkult um Steve Jobs rührt bereits seit den Anfangstagen von Apple. Der charismatische Gründer, der «Macintosh-Erfinder», der iPod- und iPhone-Erfinder. Er, der Apple aus dem tiefen Loch in die beste Position überhaupt katapultierte. Unter der Regentschaft von Jobs hat Apple drei Branchen revolutioniert. Zuerst wurde mit dem Apple II die PC-Industrie überhaupt erst geschaffen, dann acht Jahre später mit dem ersten Macintosh revolutioniert. Und im neuen Jahrtausend gelangen Apple mit Jobs als CEO zwei weitere Streiche: die Musik-Revolution mit dem Duo iPod+iTunes und das Aufrütteln der Mobiltelefonbranche mit dem iPhone seit nun zwei Jahren. Der iMac, Mac OS X, der iPod und das iPhone sind nur vier Produkte, mit denen Apple in den letzten zwölf Jahren, seit Jobs wieder an Bord ist, geglänzt und mächtige Erfolge gefeiert hat. Bei allen grossen Apple-Produkten hatte Jobs das Hand im Spiel. Apple ging Mitte der 1990er-Jahre fast unter - erst als Jobs das Ruder wieder übernahm, ging es mit Apple wieder aufwärts. Es scheint also nicht so unbegründet, warum jeder denkt «Steve Jobs = Apple, Apple = Steve Jobs».

Die Börse mit ihren Analysten sowie die Medien aber nicht zuletzt auch Apple selbst pushten den Personenkult noch mehr an und so kam es, wie es kommen musste: Geht es Jobs schlecht, sinkt auch Apples Aktienkurs. Die letzten vier Jahre haben das eindrucksvoll gezeigt: Wann immer Jobs in Verbindung mit seiner Gesundheit in den Medien stand bzw. ein ‘bedeutender’ Analyst sich dazu äusserte, reagierte der Aktienkurs - da die meisten Meldungen negativer Natur waren, fiel natürlich auch die Aktienkurs-Reaktion entsprechend negativ aus. Für die Firma Apple wurde dieses Thema sehr gefährlich. Was den Personenkult um Jobs und die «Bedeutung Jobs für Apple» angeht, hat es Apple aber in den letzten vier Jahren versäumt, Jobs’ Relevanz (wenn auch nur gegen aussen) zu vermindern.

Doch auch wenn Jobs anscheinend noch immer unentbehrlich für Apple ist, soll eine Bedeutung schlussendlich doch eine andere sein: Steve Jobs sei vor allem Apples Aushängeschild - nicht viel mehr. Die wirklichen Geschäfte würden bereits seit einigen Jahren von Tim Cook geführt. Cook sei der Mann im Hintergrund, der schlussendlich aus den vorgestellten Produkten das Cash mache.

Apple hat eine unglaublich talentierte Teppichetage. Neben Cook sind da natürlich noch Jony Ive, der Designer und Entwerfer aller Apple-Designs seit dem revolutionären Ur-iMac von 1998 - Ron Johnson, der mit den Apple Retail Stores eine unglaublich erfolgreiche internationale Ladenkette aufgebaut hat; oder Phil Schiller, der zwar auf einer Keynote-Bühne nicht ganz so glänzen kann wie Steve Jobs, aber trotzdem einen unglaublich guten Job als Produkt-Marketing-Manager macht. Dazu kommen noch viele weitere, sehr talentierte Manager, aber natürlich auch die Personen, die schlussendlich die Produkte entwickeln. Apple hat alleine in diesem Jahrzehnt so viele neue Trends gesetzt. Apple steht heute so gut positioniert da wie noch nie. Das heutige Board kann Apple bestimmt auch ohne Jobs leiten. Die aktuelle Situation kann mit jener nach der Krebserkrankung oder jener nach der Ankündigung des Intel-Switches verglichen werden: Zuerst dachte man, Apple überlebe das nicht - und schlussendlich kam alles viel besser heraus, als es davor war (Stichwort «Kein PowerPC sondern Intel-CPUs in einem Mac? Das ist das Ende für Apple!»). Apple hat den Umstieg von OS 9 zu OS X überstanden, der iPod hat die Transition FireWire zu USB überstanden und die Mac-Plattform blüht noch stärker auf seit sie von Intel-CPUs betrieben wird.

Steve Jobs ist klar einer der grössten CEOs der Wirtschaftsgeschichte - da gibt es kein wenn und aber. Es ist deshalb sicher nicht ganz richtig, dass Apple auch ohne Jobs genau das Apple ist, wie wir es kennen. Aber schlussendlich wird diese Ansicht von vielen einfach übertrieben dargestellt. Früher oder später wird Jobs seine Firma verlassen - ob nun bereits heute oder in einigen Jahren, das weiss niemand. Die Branche und die Community muss sich das bewusst werden und sich darauf einstellen. Ob dies bei Apple bereits geschehen ist, wird sich in den nächsten Monaten während Jobs’ Absenz zeigen.
Ich glaube, die ganze Geschichte wird völlig übertrieben. Tim Cook und der Rest des Boards werden die Geschäfte schon richtig lenken. Cook wird ein guter Jobs-Ersatz. Er ist zwar nicht der selbe Typ wie Jobs, aber vielleicht ist es ja genau das, was Apple derzeit braucht. Das scheint auch der Eindruck der Börse zu sein - hat sich diese doch wieder beruhigt und zeigt nun nicht mehr zehn, sondern lediglich noch rund zwei Prozent nach unten…

Ich wünsche Jobs auf jeden Fall eine gute Auszeit und gute Besserung. Die Zukunft wird zeigen, wie es mit Apple weiter gehen wird - schlussendlich kommt eh alles anders als man es vielleicht erwartet hätte … bei Apple sowieso.

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