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Ein kleiner Event schlägt grosse Wellen
Steckt Apple in einer Identitätskriese?
Apple hat sich alle Mühe gegeben, den gestrigen Event so unscheinbar wie möglich zu halten. Nur wenige Journalisten wurden eingeladen, eine öffentliche Ankündigung des Events gab es ebensowenig wie einen QuickTime-Stream. Keine Frage, Apple wollte die Erwartungen nicht unnötig in die Höhe schrauben. Trotz aller Bemühungen ging der Schuss nach hinten los. Die Reaktionen im Anschluss der Pressekonferenz fielen grösstenteils negativ aus - äusserst negativ sogar. Derzeit beschreitet Apple einen gefährlichen Weg. Apple ist auf der Suche nach den Grenzen des eigenen Einflussbereiches. In weniger als 60 Tagen habe Apple die Hälfte der Produktpalette auf die Intel-Architektur umgestellt, verkündete Steve Jobs gestern nicht ohne Stolz. Mit den neuen Macs soll alles besser werden, die PowerPC-Krise sei endlich überwunden. Gleichzeitig betont Apple, dass ihre neuen Computer gleich funktionieren wie eh und je. Im Grunde habe sich nichts verändert, für die Kunden bleibe alles gleich. Ein Mac sei immer noch ein Mac. Wird mit den Intel-Macs nun alles neu oder bleibt alles beim alten? Apple weiss es selbst nicht. Apple beschreitet hier einen Balanceakt, dessen Ausmasse nicht einmal Steve Jobs zu überblicken im Stande ist. Der Intel-Switch gestaltet sich für Apple zu einem brisanten Spagat zwischen alten Weisheiten und der neuen Wirklichkeit, zwischen jahrzehntealten Paradigmen, die plötzlich ihre Bedeutungskraft verlieren und neuen Luftschlössern, die buchstäblich in der Luft hängen bleiben. Die gespielte Leichtigkeit des Intel-Switches droht in einem immer schneller drehenden Strudel zu versinken, in einem Strudel, der eine von Apple kreierte Welt zwischen Schein und Sein zu Tage fördert und dessen Auswirkungen nicht abzusehen sind. Zwischen all den Unklarheiten kristallisiert sich eine Frage immer deutlicher heraus: Befindet sich Apple in einer Identitätskrise?
Beginnen wir bei den Fakten: Apple hat gestern ein neues Mac-mini-Modell mit Intel-Prozessor vorgestellt. Der neue Mac mini ist bis zu fünf Mal schneller als der Vorgänger, ist ausserdem deutlich besser ausgestattet und arbeitet nun auch mit Front Row zusammen. Damit präsentiert sich der Mac mini als Rundum-Sorglos-Paket für Switcher, was eigentlich schon immer seine Bestimmung sein sollte. Wo liegt nun das Problem? Nun, obwohl sich Apple alle Mühe gegeben hat, einen attraktiven Mac mini zu präsentieren, fallen die Kritiken vielerorts vernichtend aus. Hauptkritikpunkte sind der eingesetzte Core-Solo-Prozessor, die verbaute Intel-Grafik und der um 100 Dollar angestiegene Verkaufspreis. Objektiv betrachtet ist die Kritik nicht wirklich gerechtfertigt. Der Mac mini ist ein toller Computer. Seine Leistung reicht für viele Leute locker aus, die Ausstattung wurde wesentlich verbessert und auch Front Row liegt dem Mac mini bei.
Doch was ist Ursache für die Unzufriedenheit und die Verunsicherung der Mac-User? Das Problem ist die Kommunikationspolitik von Apple. Vor einem Jahr kam der erste Mac mini auf den Markt und kostete 699 Franken. Er war nur mässig ausgestattet und auch nicht sonderlich schnell, doch für viele Anwendungen war er gut genug. Apple verbaute einen uralten Radeon-9200-Grafikchip. Die Herren aus Cupertino wurden aber nicht müde zu betonen, dass diese Grafik allemal besser sei als die in vergleichbaren PCs eingebauten Onboard-Grafikchips von Intel. Nun steckt genau diese einst verschmähte Grafik im neuen Mac mini. Was vor einem Jahr der letzte Dreck war, soll nun plötzlich der Stein der Weisen sein? Die neue Grafik ist zweifellos schneller als die im Vorgänger verbaute Radeon-Karte, aber nur weil die neue Intel-Grafik die fünfjährige ATI-Technologie in die Schranken weist, ist sie noch lange nicht gut. Das gleiche gilt für den Prozessor. Noch vor einem Jahr war jedem Mac-Anwender klar, dass der im Mac mini verbaute G4-Chip zwar nicht das Höchste der Gefühle ist, aber dank Altivec in Anwendungen wie iLife dennoch eine gute Figur macht. Nun baut Apple einen Core Solo ein, und zwar die langsamste aller von Intel angebotenen Spezifikationen. Wenn man sich vor Augen hält, dass ein MacBook Pro mit einem 2 GHz Core Duo von Intel in den iLife-Applikationen meist nur etwa 50 bis 80 Prozent schneller ist als das PowerBook mit einem 1.67 GHz G4, dann stellt sich die Frage, ob sich der Mac mini mit Core Solo überhaupt vom G4-Vorgänger absetzen kann. Wir dürfen nicht vergessen, dass der neue Mac mini stolze 929 Franken kostet, 229 Franken mehr als vor einem Jahr. Nicht wenige werden denken, dass Apple besser einen aktuellen G4-Chip eingebaut und den Preis bei 699 Franken gelassen hätte. Natürlich kann man argumentieren, dass Apple den Mac mini auch in einer Konfiguration mit Core-Duo-Chip anbietet, aber preislich hat dieses Modell nichts mehr mit dem ursprünglichen Mac-mini-Konzept zu tun. Hätte Apple im Einsteigermodell einen Dual-Core-Prozessor eingesetzt, wäre die Preiserhöhung gerechtfertigt gewesen, aber wenn der Intel-Switch ausser höheren Preisen keine greifbaren Veränderungen bringt, gerät Apple in Erklärungsnot.
Man wird den Eindruck nicht los, dass Apple selbst nicht weiss, wie sie den Umstieg auf die Intel-Plattform am besten bewerkstelligen können. Auf der WWDC 2005 kündigte Steve Jobs einen nahtlosen und schleichenden Übergang auf die neue Architektur an. Doch nun versucht Apple den Umstieg mit der Brechzange in Rekordzeit zu vollziehen. Apple war nicht mal in der Lage, pünktlich zur Vorstellung des MacBook Pro die eigenen Pro-Apps in nativen Versionen vorliegen zu haben. Gestern verwechselte Steve Jobs die Bezeichnungen ‘MacBook Pro’ und ‘PowerBook’ gleich mehrmals, selbst der Apple-Chef scheint sich noch nicht an die neuen Macs gewöhnt zu haben. Von Steve ist man eigentlich gewohnt, dass er seine Ansprachen minutiös vorbereitet, doch gestern schien er leicht aus dem Tritt geraten zu sein. Apple lebte jahrelang von Steves Qualitäten als überzeugender Medienstar, der seine Produkte auf der Bühne zu vermarkten wusste.
Durch den Intel-Switch hat Apple, und allen voran Steve Jobs, viel von seiner Glaubwürdigkeit eingebüsst. Auch ein knappes Jahr nach der Bekanntgabe des Switches sind Apples Beweggründe kaum durchschaubar. Steve Jobs begründete den Schritt, auf Intel zu setzen, lediglich damit, dass Apple möglichst gute Computer bauen möchte und dass dies mit dem PowerPC in Zukunft nicht mehr möglich sei. Immer wieder zog er das Beispiel des PowerBook G5 heran, welches Apple mangels passendem Chip nicht produzieren konnte. Ironischerweise ist der Low-power-G5 unterdessen lieferbar, auch Mehrkernprozessoren bietet IBM seit vergangenem Herbst an. Bleibt noch der geringe Strombedarf der Intel-Chips, den Apple immer wieder hervorhebt. Weshalb aber das neue MacBook Pro trotz deutlich grösserem Akku lediglich mit Müh und Not die Laufzeit eines PowerBook G4 - die ohnehin nicht über alle Zweifel erhaben ist - erreicht, bleibt wohl für immer ein Geheimnis.
Apple hat sich in zahlreiche Widersprüche verstrickt, nun scheint sich das zu rächen. Von den gross angekündigten Stromsparqualitäten der Intel-Chips kriegt der Kunde nichts zu sehen, stattdessen darf er sich an eine integrierte Intel-Grafik und höhere Preise gewöhnen.
Eines darf man trotzdem nicht vergessen: Die aktuellen Intel-Macs sind fantastische Rechner und ihr Geld allemal wert. Apples Entscheidung, den PPC zugunsten der Intel-Prozessoren fallen zu lassen, war im Grund genommen richtig. Nur darf Apple nicht den Fehler begehen, zu glauben, dass durch den Switch alle alten Versprechen und Weisheiten vergessen sind. Der Mythos Apple zeigt deutliche Auflösungserscheinungen, das Vertrauen der Kunden in die Marke hat stark abgenommen. Doch genau dieses Vertrauen braucht Apple. Schliesslich will Apple neue Märkte erobern, das beweisen nicht nur der iPod und der Music Store, sondern auch die Einführung von Front Row und des iPod-Hi-Fi-Lautsprechersystems. Steve Jobs will mit neuen Produkten in die Wohnzimmer vorstossen, doch die Produkte sind nicht unumstritten. Er wird nur Erfolg haben, wenn ihm die Kunden im Kerngeschäft, dem Computerverkauf, nicht davonlaufen.