Der Wolf im Schafspelz
Wer schützt die Verbraucher vor dem Verbraucherschutz?
Steve Jobs ist ein Meister der Konsumentenmanipulation. Wenn er auf der Bühne steht und ein neues Produkt enthüllt, hängt die halbe Welt an seinen Lippen. So geschehen bei der iPhone-Präsentation vor wenigen Wochen. Jobs spielt mit starken Worten und grossen Bildern. Er baut ein «Reality Distortion Field» auf, ein Feld verzerrter Wahrnehmung, in dem nichts unmöglich scheint und dem niemand entfliehen kann. Manchmal ist es deshalb von Vorteil, jemanden zu haben, der einem die Augen öffnet. Kaum einer der Journalisten, die dem iPhone ihre Titelstory widmeten, hatte das Apple-Telefon je in der Hand gehabt. Erst in einem Jahr wird das iPhone in grossen Stückzahlen erhältlich sein. Woher wissen die Journalisten, ob das iPhone wirklich gut ist? Zum Glück gibt es Organisationen, welche es sich zum Ziel gesetzt haben, uns Konsumenten die Augen zu öffnen. Greenpeace beispielsweise hat herausgefunden, dass Apple zu den grössten Umweltschändern der Elektronikindustrie zählt. Gleichzeitig rufen Verbraucherschutzverbände aus ganz Europa zum iTunes-Boykott auf. Was ist dran an dieser plötzlichen Kritik? Vor vielen Jahren gab es mal eine Zeit, als Apple mit dem Rücken zur Wand stand. Apple hatte die PC-Kriege gegen IBM und Microsoft verloren. Doch Steve Jobs rettete die Apfelfirma vor dem sicher geglaubten Untergang. Er hatte Apple noch nicht abgeschrieben; als Apple bereits dem Tode ins Angesicht blickte, hatte er noch eine Botschaft zu verkündigen: «Die Grossen der Industrie sind böse, die Kleinen sind die Guten.» Nun ist Apple selbst der Grosse.
Einer der Hauptgründe für die erfolgreichen Auftritte von Steve Jobs ist seine absolute Begeisterung für die Produkte, welche er präsentiert. Apple ist voll und ganz überzeugt, zu wissen, wie das perfekte Produkt aussieht. Cupertino vertraut auf die eigenen Innovationsquellen und lässt sich nicht von äusseren Meinungen und Forderungen leiten. Damit schafft es Apple einerseits immer wieder von neuem, die ganze Welt zu verblüffen, andererseits sind sie auch anfälliger auf Kritik. Wenn Steve Jobs von eine Idee überzeugt ist, dann ist es völlig egal, welche Hindernisse im Weg stehen.
Mit der zunehmenden Verbreitung seiner Produkte gerät Apple unweigerlich in den Fokus von kritischen Beobachtern. Vorbei sind die Zeiten, als Apple heroisch gegen das Microsoft-Imperium kämpfte wie einst Asterix gegen die Römer. Wie aus dem Nichts wurde Apple zum dominanten Marktleader im Bereich der digitalen Musik. Das Ende der Erfolgsgeschichte von iTunes und dem iPod ist noch lange nicht abzusehen. Kein Wunder, wird diese rasante Entwicklung von vielen Seiten mit grosser Skepsis beäugt.
Insbesondere in Europa formiert sich starker Widerstand gegen iTunes. Verbraucherschützer fordern eine Öffnung der Softwareklammer, welche iTunes mit dem iPod verbindet und die Öffnung der Plattform für Drittanbieter. Sind diese Forderungen berechtigt?
Ich persönlich glaube, dass viele der Kritiker nicht verstanden haben, weshalb der iPod so erfolgreich ist. Es ist nicht seine Technik; auch nicht das Design oder das Bedienkonzept. Der iPod und mit ihm auch iTunes und der iTunes Store sind derart beliebt, weil Apple als einziger Hersteller verstanden hat, worauf es den Konsumenten wirklich ankommt. Interessant ist vor allem, welche Punkte an iTunes kritisiert werden. Ein Hauptanliegen der Verbraucherschützer ist die Kompatibilität von iTunes zu MP3-Playern von Drittherstellern. Die Musik aus dem iTunes Store soll in einem Format kodiert sein, welches offen gelegt wird. Es geht also um Formate. Und um Kopierschutzverfahren. Denn mit der Frage nach dem Dateiformat und der Kompatibilität rückt auch Apples FairPlay-DRM ins Rampenlicht. Dies beides sind Themen, welche den Verbraucher nicht im Geringsten interessieren. Wer im iTunes Store einkauft, weiss ganz genau, dass die Songs nur auf dem iPod abspielbar sind. Doch das ist mir völlig nebensächlich; wichtig ist, dass ich sie überall und jederzeit und beliebig oft hören darf, sei es an der Stereoanlage, am Computer, im Auto oder überall gleichzeitig. Vom Rechtemanagement spüre ich rein gar nichts.
Klar kann man argumentieren, Apple solle dem Verbraucher die Wahl des Musik-Players überlassen. Doch diese Forderung scheint ziemlich realitätsfern. Erstens ist es in unserer Wirtschaftswelt generell üblich, dass Produkte eines Herstellers nicht kompatibel zu dem eines anderen Herstellers sind. Kaufe ich beispielsweise ein PlayStation-Spiel, läuft es auch nicht auf einer XBox. Genausowenig kann ich an einer PlayStation einen Controller der XBox anschliessen oder damit auf den Internetservice XBox-Live zugreifen. Verschiedene Produkte verfügen über verschiedenes Zubehör, zu dem sie kompatibel sind. Zweitens - und dies ist besonders wichtig - ist es technisch derzeit völlig undenkbar, wie ein Musikstore funktionieren soll, der zu sämtlichen Playern kompatibel ist. Zwar existieren Downloadangebote für Musik, welche zu zahlreichen portablen Abspielgeräten kompatibel sind, doch diese Stores sind allesamt grottenschlecht. Üblicherweise basieren sie auf der proprietären Windows-Media-Audio-Technik, funktionieren nur unter Windows und können nicht direkt aus einer Jukebox-Anwendung aus aufgerufen werden. Sie verfügen entweder über einen stark eingeschränkten Musikkatalog oder über ein äusserst striktes und uneinheitliches DRM-System. Der Markt hat in vielen Fällen gezeigt, dass solche Angebote nicht funktionieren und keinerlei Investitionssicherheit bieten. Wer im Musikstore von Microsoft, der vor zweieinhalb Jahren seine Pforten öffnete und anschliessend massiv beworben wurde, Musik einkaufte, konnte diese anschliessend zwar auf Playern zahlreicher asiatischer Billig- und Plagiathersteller abspielen, steht heute aber bereits im Regen. Unter dem Namen Zune lancierte Microsoft unlängst ein neues Portfolio an Musikprodukten. Die Musik aus dem alten Microsoft-Store kann auf den neuen Playern nicht mehr wiedergegeben werden - soviel zur Kompatibilität offener Systeme.
iTunes funktioniert deshalb so gut, weil es Hand in Hand mit dem iPod und dem iTunes Store arbeitet. Es liefert genau die Funktionen, die sich iPod-Besitzer wünschen. Eine Jukebox, ein Store, ein Player - so lautet das Erfolgsrezept. Durch die enge Integration dieser drei Angebote wird jeder Bestandteil zusätzlich aufgewertet. iTunes stellt nicht einfach nur ein Monopol dar, sondern es ist effektiv das überlegene Produkt. Es ist so gut, dass die Fragen nach der Kompatibilität und dem Rechtemanagement völlig in den Hintergrund gerückt und damit für Verbraucher uninteressant geworden sind. Und es ist besorgniserregend, dass sich die Verbraucherschützer mit Themen befassen, welche für die Verbraucher keinerlei Relevanz besitzen. Es scheint als fehle den Verbraucherschützern der Blick fürs Wesentliche.
Einen ähnlichen Eindruck vermittelt die Greenpeace-Kampagne, in welcher Apple zu einer umweltbewussteren Produktpolitik aufgefordert wird. Greenpeace hat ein Ranking veröffentlicht, in welchem 14 Unternehmen aus der Elektronikindustrie auf ihr Umweltbewusstsein hin beurteilt werden. Mit 2.7 von 10 Punkten liegt Apple abgeschlagen auf dem letzten Platz. Nun gut, was ist an diesem Ranking verwerflich? Es ist ja durchaus möglich, dass Apple tatsächlich zu wenig Wert auf die Umweltverträglichkeit seiner Produkte legt. Dieser letzte Punkt mag durchaus zutreffen. Ich selbst habe keine Ahnung, wie viel Apple wirklich für den Umweltschutz unternimmt. Aber ich finde die Art und Weise der Kritik und auch deren Zeitpunkt äusserst verdächtig. Es wurden immer wieder Studien veröffentlicht, welche die Umweltverträglichkeit von Apples Hardware unter die Lupe nahmen. Fast immer mit positivem Fazit. Wie kommt es, dass Greenpeace scheinbar das pure Gegenteil erzählt? Die Antwort auf diese Frage liefert die Übersicht über die Bewertungskriterien, nach welchen Greenpeace die Unternehmen einstuft. Das Ranking stützt sich zu grossen Teilen auf die Informationspolitik der Unternehmen. Um eine gute Bewertung zu erhalten, müssen Unternehmen gewisse Absichtserklärungen, welche Chemikalien sie in ihren Produkten bis zu welchem Zeitpunkt nicht mehr verwenden wollen, abgeben. Zudem müssen sie genaue Angaben über die verwendeten Werkstoffe veröffentlichen. Anders ausgedrückt: Greenpeace hat die einzelnen Produkte gar nicht detailliert auf ihre Konstruktion und Fertigung hin getestet. Das erklärt auch, weshalb einige Unternehmen, die nach der ersten Veröffentlichung des Rankings noch ganz am Ende der Skala lagen, nur wenige Wochen später plötzlich im Spitzenfeld auftauchen konnten. Um im Ranking nach vorne zu kommen, werden diese Unternehmen kaum ihr Produktsortiment auf den Kopf gestellt oder sämtliche Zulieferer gewechselt haben - schliesslich gibt sich Greenpeace auch damit zufrieden, wenn man ein paar Absichtserklärungen unterzeichnet und detaillierte Produktinformationen zugänglich macht. Worin der Wert einer solchen Untersuchung liegt, wird wohl für immer das Geheimnis von Greenpeace bleiben. Jedenfalls verwundert Apples negatives Ranking vor diesem Hintergrund kaum - schliesslich ist Apple als Unternehmen, welches enormen Wert auf das Produktdesign legt, bekannt für eine strikte Geheimhaltungspolitik. Genau dieser hohe Stellenwert, den das Produktdesign bei Apple geniesst, ist aber auch eine grosse Stärke. Dass sich Apple um jedes Detail seiner Produkte Gedanken macht, kommt schlussendlich auch dem Umweltschutz zu Gute. Macs sind sehr viel kleiner und langlebiger als die meisten PCs, somit fallen automatisch auch weniger bedenkliche Stoffe an, die später einmal entsorgt werden müssen. Das ist vor allem deshalb entscheidend, da die Produktionsbedingungen innerhalb der Branche sowieso kaum variieren. Fast alle Unternehmen kaufen bei den gleichen Zulieferern ein und lassen ihre Produkte aus denselben Bauteilen von denselben Betrieben fertigen. Umweltschutz lässt sich also fast nur noch über ein intelligentes Produktdesign betreiben.
Mit dieser Kritik an Greenpeace will ich nicht sämtliche Argumente gegen Apple entkräften. Wahrscheinlich ist nicht alles falsch, was Greenpeace behauptet. Aber die Art und Weise der Kritik stört mich gewaltig. Genau wie die Verbraucherschutzorganisationen scheint Greenpeace keinen Blick fürs Ganze zu besitzen und stochert stattdessen in einigen unwichtigen Details herum. Mein Eindruck ist, dass Apple kritisiert wird, weil sie ein De-facto-Monopol im Musikbusiness besitzen und weil man sich mit Kritik an einer derart populären Firma unglaublich gut profilieren kann. Dass die Kritik - insbesondere diejenige der europäischen Verbraucherschutzverbände - für die Konsumenten ausschliesslich negative Konsequenzen haben kann, ist offenbar die bittere Moral einer Geschichte, mit der sich Apple in Zukunft sicher noch des öfteren konfrontiert sehen wird.
Gönner-AboAb CHF 5.– im Monat
👉🏼 Wir benötigen deine Unterstützung! Unterstütze macprime mit einem freiwilligen Gönner-Abo und mache die Zukunft unseres unabhängigen Apple-Mediums aus der Schweiz mit möglich.
2 Kommentare
Kommentar von Kate AppleLover
Dieser Inhalt kann nicht mehr kommentiert werden.
Kommentar von Christophe
Dieser Inhalt kann nicht mehr kommentiert werden.
Anmelden um neue Kommentare zu verfassen
Allegra Leser! Nur angemeldete Nutzer können bei diesem Inhalt Kommentare hinterlassen. Jetzt kostenlos registrieren oder mit bestehendem Benutzerprofil anmelden.